Horner: Sebastian überrascht uns immer wieder

Für Teamchef Christian Horner

läuft es diese Saison wie am Schnürchen

Sieben Pole-Positions und sechs Siege in acht Rennen, 77 Punkte Vorsprung in der Fahrer- und 89 in der Konstrukteurs-WM - nach dem zweitbesten Saisonergebnis (Sebastian Vettel Erster, Mark Webber Dritter) kann Red-Bull-Teamchef Christian Horner in Valencia mehr als zufrieden Bilanz ziehen. Der Brite ist extrem beeindruckt von Vettels neuerlicher Galavorstellung, findet diesmal aber auch lobende Worte für den stark verbesserten Webber.

Frage: Christian, Erster und Dritter in Valencia. Heute bist du sicher zufrieden, oder?

Christian Horner: Ja. Es war ein wirklich faszinierendes Rennen, vor allem zwischen unseren Jungs und Fernando. Beide hatten einen guten Start. Fernando konnte innerhalb des DRS-Abstands von Mark bleiben und die Drei lagen stets nahe beisammen. Dann kommst du langsam zum ersten Stopp. Es ist das Einfachste der Welt, es nicht zu schaffen, beide Autos vorne zu halten. Eines geht leicht, aber beide, das ist sehr schwierig. Also haben wir Mark zuerst reingeholt, um ihm den Vorteil der neuen Reifen früher zu geben, und die Runde darauf holten wir Seb rein. Er hat seine Position gehalten. Mit den Options im zweiten Stint lief es ganz gut, wir konnten uns ein bisschen absetzen und die Reifen im Auge behalten. Der nächste Stopp war gut. Sebastian blieb dann etwas länger draußen als notwendig, aber das Wichtigste war in jener Phase, die Jungs so reinzuholen, dass sie nach dem Stopp freie Fahrt haben würden. Im dritten Stint verlor Mark Grip und wir hatten noch dazu schon mehr Runden auf den Reifen als Fernando. Mark bestätigte, dass er reinkommen möchte, also haben wir ihn reingeholt. Leider haben wir ein bisschen Zeit auf dem Weg in die Boxengasse verloren und gerieten ein bisschen in Verkehr. Zudem hatte der harte Reifen nicht ganz die Out-Lap-Performance, die wir uns erhofft hatten - er war höchstens gleich gut wie die gebrauchten weichen Reifen. Das ermöglichte es Fernando, an ihm vorbeizugehen. Aber vorne ist Sebastian ein unglaubliches Rennen gefahren. Er hatte zu jedem Zeitpunkt alles unter Kontrolle, missbrauchte seine Reifen nicht und produzierte heute wieder eine erstklassige Fahrt.

Pole-Position, schnellste Runde, Sieg - sehr viel besser kann man auf den kleinen Fehler in der letzten Runde nicht antworten, nicht wahr?

Er wollte unbedingt ein perfektes Wochenende abliefern und hat genau das geschafft. Er hat nach Montreal zurückgeschlagen. Er schafft es immer wieder, uns zu überraschen. Wir hatten ihm nicht erzählt, dass wir Mark schon auf harte Reifen gewechselt hatten, weil wir nicht wollten, dass er noch mehr attackiert. Dann meldete er sich am Funk: 'Welche Zeiten fährt Mark eigentlich mit den harten Reifen?' Wir schauten uns an und fragten uns: 'Wer hat ihm das gesagt?' Dabei hat er es auf einer Videowall gesehen - er hat noch die geistigen Kapazitäten, sich auf solche Dinge zu konzentrieren. Er denkt immer nach, was eine seiner grössten Stärken ist.

Du sagst, Mark steckte nach dem letzten Stopp im Verkehr. Dann war also nicht die Performance der Reifen ausschlaggebend?

Ich glaube, die Reifenperformance war okay - hart an der Grenze. Aber dann lief er auf eine ganze Gruppe mit D'Ambrosio, einem Lotus und noch einem Auto auf, die gegeneinander fighteten. Da verlor er zwei Sekunden beim Überrunden. Ich habe die Daten nicht mehr genau im Kopf, aber ich glaube, auf seiner ersten Prime-Runde ist er 1:42 gefahren und in dieser Runde 1:44. Dadurch ist er hinter Fernando zurückgefallen.

Zu sagen, ihr habt die Performance der harten Reifen zu optimistisch eingeschätzt, wäre also falsch?

Marks weiche Reifen waren zu dem Zeitpunkt sowieso hinüber. Die von Fernando waren noch okay. Also mussten wir etwas unternehmen, denn wir hatten nichts zu verlieren. Das war unsere einzige Chance.

Die Saison nimmt langsam Züge der besten Jahre von Michael Schumacher an. Siehst du da Parallelen, wenn du an Sebastian denkst?

Sein Selbstvertrauen wird einfach immer grösser. Er hat sechs von acht Rennen gewonnen und war in den anderen beiden Zweiter. Wir haben fast Halbzeit in der Saison, aber ihm fehlen nur 14 Punkte auf das Maximum. Das ist ungeheuer beeindruckend. Er ist ein Perfektionist. Er analysiert seine eigene Leistung genauer als jeder andere. Für die Jungs, die mit ihm arbeiten, ist das ungemein lohnend, denn er treibt sie alle an.

Er wird auf jeden Fall als WM-Führender nach Spa-Francorchamps kommen. Das ist schon eine sehr bequeme Ausgangsposition, nicht wahr?

Wir befinden uns in der Tat in einer sehr guten Ausgangsposition, in die wir uns selbst gebracht haben, aber es ist noch ein langer Weg in dieser Meisterschaft. Wer weiss, wie sich die Regelklarstellung - es ist ja keine Änderung - ab Silverstone auswirken wird? Ich finde, dass wir bisher all unsere Chancen genutzt haben. Das ist für das Team unglaublich befriedigend. So eine Leistung wie heute zu bringen - und zwar nicht nur heute, sondern regelmässig -, ist nicht nur dem Fahrer, sondern dem ganzen Team zu verdanken. Jede Woche kämpfen wir entweder gegen McLaren oder Ferrari, aber die Konstante war unsere Leistung.

Trotzdem scheint Sebastian noch sehr hungrig zu sein, weitere Rennen zu gewinnen.

Er ist sehr konzentriert. Montreal kam nur zustande, weil er unbedingt gewinnen wollte. Er hat in der letzten Runde riskiert, weil er wusste, dass er vor der DRS-Zone mehr als diese eine Sekunde braucht. Es ist ihm nicht aufgegangen, aber er will immer die 25 Punkte.

Auf den weichen Reifen hatte er meistens zwischen zwei und drei Sekunden Vorsprung, aber am Ende zog er plötzlich davon. Lag das daran, dass er wusste, dass er nicht mehr Reifen schonen muss?

Ja. Zu dem Zeitpunkt wusste er, dass er die Reifen rannehmen kann, weil es ohnehin nicht mehr gibt (lacht! Auf einmal werden die Zwischenzeiten auf dem Monitor violett (zeigt absolute Bestzeit an) und ich werde nervös! Da hat ihn sein Ingenieur einmal angefunkt. Das Problem ist: Diese Reifen haben ein so enges Temperaturfenster, dass sie sehr schnell abbauen, wenn du dieses Fenster verlässt. Seb scheint es fantastisch draufzuhaben, dieses Fenster richtig einzuschätzen.

Zuletzt war McLaren euer Hauptgegner, hier war es Ferrari. Wird es schwieriger für euch, wenn ihr einmal richtig unter Druck gesetzt werdet?

Ich weiss nicht. Keines der Rennen war ein Spaziergang. Es ist nicht notwendig, ein Rennen mit einer Runde Vorsprung zu gewinnen. Heute haben wir Ferrari um zehn Sekunden geschlagen und McLaren lag weitere 35 Sekunden hinten. Du musst mit diesen Reifen gerade schnell genug sein, um das Rennen zu gewinnen, aber es bringt nichts, das gesamte Feld zu überrunden.

Du sagst immer, dass noch viel passieren kann, aber euer Vorsprung ist schon so gross, dass das sehr unwahrscheinlich ist, findest du nicht?

Ich weiss nicht genau, wie viele Punkte noch zu vergeben sind (maximal 275 für elf Siege). Sag niemals nie. Wir konzentrieren uns auf jedes einzelne Rennen und darauf, das Beste aus jedem Wochenende herauszuholen. Dieses Wochenende haben wir das Punktemaximum nur um drei Punkte verpasst und wir stehen mit beiden Autos auf dem Podium. Ich finde, es war Mark Webbers bestes Saisonrennen, was seine Performance auf diesen Reifen angeht - so nahe war er noch nie an Sebastian dran. Er ist dieses Wochenende sehr gut gefahren. Wir dürfen aber nichts als selbstverständlich hinnehmen.

Mark hatte heute Getriebeprobleme. Wie sehr hat ihn das beeinträchtigt?

In den letzten fünf Runden, als uns klar war, dass wir an Fernando sowieso nicht vorbeikommen, fiel uns auf, dass Marks Getriebe immer heisser wurde. Weil sein Getriebe erst die Hälfte der geplanten Lebensdauer hinter sich hat, haben wir ihn gebeten, darauf zu achten, indem er etwas früher schaltet. Es ist wahrscheinlich alles okay, aber wir wollten kein Risiko eingehen.

Wie hat KERS heute funktioniert?

Problemlos. Wir haben am Kommandostand viel weniger über KERS gesprochen als bei anderen Rennen!

Bedeutet das, dass ihr die Probleme nun im Griff habt?

Ich glaube, wir haben gute Fortschritte gemacht. Es ist so eine komplizierte Technologie, dass es immer noch Baustellen gibt, aber wir verstehen diese immer besser. In den letzten zwei Rennen - im Rennen in Montreal hatten wir auch keine Probleme damit - hat KERS gut funktioniert. Hoffentlich bleibt das so.

Du sagst, Mark ist heute sein bestes Rennen gefahren. Glaubst du, dass er sich in der zweiten Saisonhälfte weiter steigern und zu seiner alten Form finden kann?

Ich hoffe, dass er den Schwung, den er dieses Wochenende aufgebaut hat, beibehalten kann. Er hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass er mit diesen Reifen mehr Probleme hatte als Sebastian, aber er versteht sie langsam besser. Im Rennen war er heute für 90 Prozent der Dauer höchstens vier oder fünf Sekunden hinten, was das Beste ist, was wir dieses Jahr von ihm gesehen haben. Hoffentlich schöpft er daraus viel Mut.

Wie besorgt bist du, dass sich mit der Regeländerung ab Silverstone das Kräfteverhältnis ändern könnte?

Das ist ein kleines Fragezeichen. Die Regelklarstellung ist für alle gleich, aber wir können unmöglich vorhersagen, wie sie sich auf die anderen auswirken wird.

Wäre es zu einfach, zu sagen, dass ihr diese Technologie besonders gut im Griff habt und es euch deswegen härter treffen müsste als andere?


Ich glaube nicht, dass wir so extrem sind wie andere - weder mit der Art der Anströmung noch mit der Position des Auspuffs. Ein Team hat das ganze Auto um dieses System gebaut. Für sie werden die Auswirkungen vielleicht grösser sein als für einige andere, aber ich schätze, der Nettoverlust aller vorderen Teams wird - mit kleinen Abweichungen - relativ ähnlich sein. Das Wichtigste wird sein, die Balance hinzubekommen.

Die Balance ist ein gutes Stichwort. Könnte die unter der Regeländerung leiden?

Man muss halt sicherstellen, dass wir die gleiche Balance zustande bringen wie in den bisherigen Rennen. Hoffentlich gelingt uns das, aber das werden wir erst in Silverstone herausfinden.

26.6.2011