Ross Brawn über die neue Motorenformel

Todt und Brawn sind sich einig:

Die Formel 1 muss für den Alltag relevant sein

Wie ernst darf man Reglementänderungen in der Formel 1 noch nehmen? Zwei Mal wurden die Vierzylinder-Turbomotoren mit 1,6 Litern Hubraum ab 2013 vom Motorsport-Weltrat der FIA beschlossen, nun hat man sich aber doch dazu durchgerungen, stattdessen ab 2014 V6-Turbomotoren einzusetzen. Und einmal mehr gelang es nicht, einen endgültigen Beschluss zu treffen, schließlich darf das Reglement laut dem gültigen Concorde-Agreement gar nicht von der Formel-1-Kommission ausgearbeitet werden.

Daher stellt sich die Frage, ob es sich bei der adaptierten Motorenformel nun um das endgültige Reglement handelt, oder ob auch hier noch nicht das letzte Wort gesprochen wurde. Mercedes-Teamchef Ross Brawn glaubt, dass diesmal nichts mehr dazwischen kommen wird: "Ich bin zuversichtlich, dass es sich um das endgültige Resultat handelt." Was ihn so zuversichtlich macht? Der Brite verweist darauf, dass sich die Hersteller nun endlich einig sind: "Beim ersten Vorschlag dürfte es keinen kompletten Konsens und keine komplette Unterstützung durch die Hersteller gegeben haben", spielt Brawn darauf an, dass bloss FIA-Boss Jean Todt und Renault zur Gänze hinter den Vierzylinder-Turbos und dem Einführungstermin 2013 gestanden hatten.

Vertrag bindet Hersteller an Motorenreglement

Während man lange hinter den Kulissen gestritten hatte, kam es schliesslich auch öffentlich zu einer Zerreissprobe: FIA-Boss Bernie Ecclestone, der wohl vehementeste Gegner der Vierzylinder-Formel, drohte sogar mit einer Klage bei einem ordentlichen Gericht, da der Vorgang des Reglementbeschlusses - wie beim V6-Reglement - nicht den Statuten entsprach. Damit erkläre er Todt öffentlich den Krieg. Doch diesmal haben zumindest die Hersteller vorgebaut - sie demonstrieren Einigkeit. "Alle Hersteller, die derzeit in der Formel 1 Motoren liefern, haben einen Vertrag unterzeichnet, dass dieser Motor in Zukunft unterstützt wird", verrät Brawn. "Besser geht es nicht mehr."

Dennoch bleiben Zweifel: Sorgt der V6-Motor dafür, dass die Kosten in den Motorenabteilungen explodieren? Können kleine Hersteller wie Cosworth bei diesem befürchteten Wettrüsten überhaupt mithalten? "Es gibt keine Budgetgrenze für die Entwicklung eines neuen Motors", weiß Cosworth-Boss Mark Gallagher.

Wie man die Motorenkosten kontrollieren will

Auch Brawn ist sich nicht sicher: "Die Kosten sind eine sehr gute Frage." Er verweist auf das Ressourcen-Restriktions-Abkommen der FOTA, das die Motoren derzeit nicht miteinbezieht, was durch das Einfrieren der Triebwerks-Entwicklung bisher auch nicht notwendig war. Die Motorenkosten sind derzeit nur indirekt geregelt, weil die externen Ausgaben der Teams genau geregelt sind und Motorenzahlungen zumindest bei den Kundenteams unter externe Ausgaben fallen. Daher bieten sich für die Motoreningenieure der Hersteller mehr Schlupflöcher als für die Teams, die ausschließlich das Chassis selbst bauen.

Eine Situation, die in Zukunft geregelt werden sollte. Das weiss auch der FOTA-Vorsitzende Martin Whitmarsh, der fordert, dass das RRA auf den Antriebsstrang ausgeweitet wird. Brawn deutet an, dass man der Forderung des McLaren-Teamchefs in Zukunft nachkommen wird: "Das Konzept der Ressourcenrestriktion, das es derzeit beim Chassis gibt, wird in Zukunft auch beim Motor angewendet, um sicherzustellen, dass es beim Design, beim Bau und bei der Entwicklung des Motors einen Rahmen gibt, in dem man sich bewegen muss."

Die Ausweitung des Ressourcen-Restriktions-Abkommens ist laut dem Mercedes-Teamchef nicht nur für die bestehenden Hersteller von großer Bedeutung, sondern auch für zukünftige Anwärter: "Die FIA arbeitet mit den Herstellern zusammen, um diesen Rahmen zu kreieren. Das ist eine sehr wichtige Initiative, um Hersteller zu einem Einstieg zu ermutigen, denn dann wissen sie, dass sie bei gewissen Kosten in die Formel 1 einsteigen können und sich nicht völlig verausgaben."

Verbrauch soll dem Vierzylinder-Turbo gleichen

In Zukunft soll noch mehr Wert auf Effizienz gelegt werden: "Man muss dann um das gleiche Geld klüger als die Mitbewerber sein." Diese Herangehensweise soll auch die Zukunft prägen: Während die Formel 1 lange für ihre Masslosigkeit bekannt war, möchte man sich an die neuen Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts anpassen. "Wir müssen viele Dinge in Betracht ziehen, wenn wir das Triebwerk in der Formel 1 wechseln", weiß Brawn. "Derzeit ändert sich die Technologie im Automobil-Bereich und die grosse Frage ist, wie relevant wir sein müssen und sein wollen. Ich finde, dass es gerechtfertigt ist, dass die Art des Motors, den wir in Zukunft verwenden, relevant sein muss. Wir wollen in fünf oder zehn Jahren nicht wie Dinosaurier dastehen."

Ein besonderes Augenmerk wurde aufgrund der Ressourcenknappheit auf den Verbrauch gelegt: "Wir behalten beim V6 die gleichen Effizienz-Richtwerte wie bei den Vierzylinder-Motoren in Reihe", verspricht Brawn. "Das wird mit sechs Zylindern möglicherweise eine etwas größere Herausforderung, aber wir wollen daran festhalten und wir haben auch vor, uns in Zukunft noch höhere Ziele zu setzen, indem wir den Verbrauch weiter senken."

Warum Motoren für die Serie relevant sein müssen

Er geht ins Detail: "Eines der Ziele für die Ingenieure könnte sein, die Performance zu verbessern oder sie mit weniger und weniger Benzin zu bewahren, was meiner Meinung nach eine wirklich interessante Herausforderung darstellt." Doch Brawn will vermeiden, dass sich diese Herangehensweise negativ auf den Sport auswirkt: "Wir wollen nicht, dass man nur eine gewisse Spritmenge im Rennen verwenden darf und man dann in den letzten Runden ausrollt. Wir wollen eine Messung der Verbrauchseffizienz, eine maximale Durchflussmenge und das dann auf eine Weise steuern, die immer noch interessante und spannende Rennen ermöglicht."

Diesbezüglich hat die Formel-1-Kommission laut Brawn mit den V6-Turbomotoren den richtigen Weg eingeschlagen: "Das ist die Technologie, die in Zukunft bei den Motoren der Strassenautos gängig sein wird - eine geringe Kapazität, ein Turbomotor, direkte Einspritzung und KERS. All diese Merkmale werden Teil der Technologie der Zukunft sein und wenn wir das einsetzen, dann generiert man bei einem Hersteller grosses Interesse."

Der Brite findet, dass neue Hersteller in der Formel 1 dringend notwendig sind: "Wir werden versuchen, einige Hersteller in die Formel 1 zurückzuholen. Das wird uns aber nicht gelingen, wenn wir weiterhin an den V8-Saugmotoren festhalten. Der neue Motor ist da viel relevanter."

Welchen Nutzen hat die Formel 1?

HRT-Technikchef Geoff Willis fordert, dass die in der Formel 1 entwickelte Technologie ganz allgemein eine grössere Bedeutung für den Alltag haben sollte: "Ich mache mir Sorgen, wenn wir alle unseren konstruktiven Bemühungen in eine Sache legen, die an und für sich keinen nützlichen technologischen Fortschritt bringt. Aus der Sicht eines Ingenieurs ist dies zwar immer der Fall, da wir Probleme lösen und konkurrenzfähig sind, aber es wäre schön, wenn wir einen gewissen Wert an Relevanz behalten - ganz egal, ob es sich um eine direkte Relevanz für das Geschäft der großen Automobil-Hersteller hinter den Formel-1-Teams handelt, oder ob es um Technologien in der Luftfahrt und in verwandten Industrien geht, die viele Teile einsetzen, die wir für das Chassis entwickeln."

Brawn greift diesen Aspekt auf: "Man hat mehr Möglichkeiten, in der Wirtschaft neue Partner zu finden, wenn eine gewisse Relevanz vorhanden ist." Erst kürzlich bestätigte Lotus eine enge Partnerschaft mit dem Technologiekonzern General Electric, in die Teamchef Tony Fernandes auch seine Fluglinie Air Asia miteinbeziehen will, doch Brawn ist der Ansicht, dass diese Zusammenarbeit an gewisse Grenzen stossen wird.

Brawn will Aerodynamik beschneiden

"Es gibt ausserhalb der Formel 1 nicht viele Menschen, die viel zur Aerodynamik beitragen können", übt der Mercedes-Teamchef Kritik an der Formel 1. "Diese Leute könnten vielleicht bei der Methodologie hilfreich sein, aber die Aerodynamik ist so ein spezieller Bereich. Da wäre es gut, wenn wir viel mehr Querverbindungen hätten, damit wir die unterschiedlichsten Leute in die Formel 1 miteinbeziehen könnten. Dann könnten Hersteller ihr Engagement in der Formel 1 noch viel besser rechtfertigen, da sie nicht nur Werbung erhalten, sondern auch einen direkten Nutzen aus ihrer Arbeit in der Formel 1 ziehen würden. Die Kosten der Technologie würden also in ihrem Unternehmen verteilt werden."

Brawn würde sich zum Beispiel ein offeneres Reglement im Bereich der Radaufhängung wünschen: "Wir mussten die Entwicklung aber stoppen, weil die Formel 1 zu schnell wurde. Und warum wurden wir zu schnell? Weil wir den Nutzen der Aerodynamik immer weiter optimiert haben. Es wäre schön, wenn wir die Aerodynamik etwas reduzieren könnten, und es dadurch etwas mehr Freiheit in anderen Bereichen geben würde. Wir mussten die aktive Radaufhängung aufgeben, aber nicht weil sie an und für sich ein Problem darstellte, sondern wegen der Aerodynamik. Wir werden den Einfluss der Aerodynamik auf ein Formel-1-Auto nie ignorieren können, und das macht es so besonders, aber es wäre schön, wenn wir das Verhältnis eines Tages etwas ausgeglichener gestalten könnten."

Formel 1 sorgt für Innovation

Der ehemalige Ferrari-Technikchef bringt einen interessanten Vergleich: "Was wir in der Aerodynamik lernen, kommt bei den Straßenautos nicht zur Anwendung. Das Hybridsystem KERS wird aber interessanterweise schon im Bereich der Straßenautos eingesetzt - der SLS Electric wird mit einem Formel-1-KERS ausgestattet."

Der Vorwurf, dass in der Königsklasse des Motorsports aufgrund des engmaschigen Reglements keine Innovation mehr stattfindet, erweist sich hingegen als haltlos. "Dinge wie der F-Schacht und die abgasangeblasenen Diffusoren beweisen, dass Ingenieure immer erfinderisch sein werden, welche Restriktionen auch immer eingeführt werden", argumentiert Lotus-Technikchef Mike Gascoyne.
beweisen, dass Ingenieure immer erfinderisch sein werden, welche Restriktionen auch immer eingeführt werden", argumentiert Lotus-Technikchef Mike Gascoyne.
Sauber-Technikchef James Key geht sogar noch weiter. Seiner Meinung nach sorgen ausgerechnet Einschränkungen für grosse Innovationen. Er gibt ein Beispiel: "Als 2009 das neue Aerodynamik-Reglement eingeführt wurde, da sah alles sehr einfach aus, aber sehr rasch fanden wir unterschiedliche Tricks, die wir ausspielten. Wenn man sich dann die vergangenen drei Jahre ansieht, dann gab es da den Doppeldiffusor, den F-Schacht und kürzlich den Auspuff. Vor fünf Jahren, als das Reglement für einen langen Zeitraum gleich blieb, hätten wir nicht an solche Dinge gedacht."

25.6.2011