Kampfjet-Sicherheitskuppeln für die Formel 1?

Vorbild Le Mans: Fährt auch die Formel 1 bald mit

geschlossenen Cockpits?

Für manche ist alleine schon die Idee ein Bruch mit den grundsätzlichsten Traditionen der Formel 1, doch die offenen Cockpits könnten schon bald Geschichte sein. Denn die in der Vergangenheit schon mehrfach diskutierte Möglichkeit, die Cockpits mit Sicherheitskuppeln zu versehen, wird nun erstmals konkret aufgegriffen.

Das FIA-Institut unter der Leitung von Präsident Sid Watkins hat im Rahmen des Fahrerbriefings am Freitag in Monza eine Präsentation dazu abgehalten, wie die Köpfe der Fahrer in Zukunft besser geschützt werden können. "Es geht um die Unfälle der vergangenen drei, vier Jahre", erklärt Sam Michael. "Da hätten wir zum Beispiel den Unfall, bei dem Coulthard in Melbourne über das Auto von Wurz hinweggeflogen ist."

Viele schwere Unfälle

"Massa knallte in Budapest eine Stahlfeder gegen den Helm. In Abu Dhabi fuhr ein Force India auf Michael auf. Henry Surtees ist in Brands Hatch tödlich verunglückt. Es gab noch einen weiteren Unfall, der mir aber gerade entfallen ist. Wie auch immer: Es gibt vier, fünf Fälle, die wirklich eng waren. Es besteht also die Möglichkeit, etwas zu verbessern", begrüsst der Williams-Technikchef die FIA-Initiative. "Hauptsache ist, dass wir auch weiterhin die Sicherheit in der Formel 1 im Auge haben. Manche der jüngsten Unfälle erfordern vielleicht eine derartige Lösung. Derzeit analysieren wir dies im Rahmen der Technischen Arbeitsgruppe", sagt Michael, der nichts von verstaubtem Traditionalismus hält: "Wir nehmen diesen Ansatz sehr ernst. Die FIA sieht sich diese Thematik sehr genau an und überlegt, was man da tun könnte. Wie das letztendlich aussehen könnte, steht noch nicht fest", fügt er an. "Das ist immer noch Diskussionsgegenstand innerhalb der Technischen Arbeitsgruppe."

Details will in dieser Frühphase des Projekts aber noch niemand verraten: "Ich kann nicht viel darüber sprechen, denn es war eine Präsentation im sehr kleinen Kreis", meint Rubens Barrichello. "Vorgestellt wurden auch einige Hilfsmittel für das Helmvisier. Wir bei der GPDA (Fahrergewerkschaft) sind sehr glücklich darüber, dass uns die FIA die besten Sicherheitsmassnahmen anbietet", lobt der Williams-Pilot. "Wir verlangen nur, stärker integriert zu werden. In der Vergangenheit sind verrückte Dinge passiert, die mit dem Einverständnis der Fahrer nie möglich gewesen wären. Aber das sind jetzt zwei Vorschläge, die ganz in Ordnung zu sein scheinen."

Barrichello gibt sich aufgeschlossen

Zum konkreten Vorschlag der Sicherheitskuppel hat er sich "noch keine feste Meinung gebildet. Ich warte erst einmal ab, was die so sagen, aber ich bin nicht so naiv zu sagen: 'Das sieht hässlich aus, das brauchen wir nicht.' Wir haben die Formel 1 schon viel sicherer gemacht und wir wollen sie noch sicherer machen, damit meine Kinder einmal sicher sind, falls sie auch Formel 1 fahren sollten", lächelt Barrichello.

Auch Nico Rosberg begrüsst die FIA-Initiative: "Es ist großartig zu sehen, wie viel Mühe in die Sicherheit investiert wird. Das ist ja auch eine Kostenfrage, aber sie schieben das an, was fantastisch ist. Ich bin mir sicher, dass in naher Zukunft einige Neuerungen kommen werden. Das Problem ist sicher nicht einfach zu lösen, ganz klar, aber es gibt einige gute Ansätze und es geht in die richtige Richtung. Vor allem reden wir hier von Objekten, die von vorne kommen, wie zum Beispiel bei Felipe in Ungarn", sagt der Mercedes-Pilot. "Die Kuppel als solche funktioniert sehr gut, um das zu erreichen, was wir erreichen wollen, das steht fest. Das ist eine der Varianten, die präsentiert wurden, aber für uns ist es schwierig, das genau einzuschätzen. Wir werden sehen, was sie sich einfallen lassen." Die Technische Arbeitsgruppe beschäftigt sich schon länger mit dem Thema.

Pat Fry sieht unter den bisherigen Varianten aber noch kein ausgereiftes System: "Bei der Kampfjet-Kuppel begann das System schon auf Höhe der Reifen und war zwei Meter lang. Ein kleineres System zu verwenden, ist aber schwierig, wenn man das gleiche Mass an Schutz erzielen möchte. Wir müssen da also noch intensiver forschen", kritisiert der Ferrari-Mann.

Nur wenige Gegenmeinungen

Das Argument, dass die Formel 1 mit geschlossenen Cockpits nicht mehr die Formel 1 wäre, fällt im Paddock in Monza eher selten. Zu den wenigen Traditionalisten unter den Fahrern, die sich klar gegen eine Sicherheitskuppel aussprechen, zählt Mark Webber. Doch selbst Barrichello ist den FIA-Vorschlägen gegenüber aufgeschlossen: "Alle alten Racer werden das sagen", entgegnet er Webbers Haltung. "Aber die dümmste Idee der Welt war für mich, als sie die Rillenreifen eingeführt haben", holt der 39-jährige Brasilianer aus. "Ich bin mit Rillenreifen nicht im Kart gefahren, nicht in der Formel 3 und auch nicht am Anfang in der Formel 1. Das war keine gute Idee - vielleicht sogar eine der schlechtesten Ideen in der Geschichte der Formel 1. Wenn du einmal ins Schleudern gekommen bist, hörte es nämlich nicht mehr auf. Ganz übel."

"Ich könnte als alter Racer sagen, ich will am liebsten ohne Glaskuppel und ohne Helm fahren, aber das ist doch dumm", erklärt er. "Die Welt steht nicht still. Strassenautos entwickeln sich genauso wie Rennautos und wir Menschen sind heute insgesamt sicherer. Wir wollen bessere Dinge für unsere Kinder, denn auf diese Weise lernen wir dazu. Daher finde ich, dass wir aufgeschlossen sein und uns das ansehen sollten." Entwickeln würden die Sicherheitskuppel übrigens nicht die Teams selbst, sondern externe Unternehmen würden sich intensiv mit der Entwicklung eines standardisierten Prototypen beschäftigen - genau wie einst beim HANS-System. Williams-Technikchef Michael: "Es ist noch zu früh, um das zu sagen. Solche Systeme werden aber von Firmen wie RGI entwickelt, die zum Beispiel Luftfahrt-Applikationen für Kampfjets bauen."

11.9.2011