Vettel: "Ein sehr spezieller Sieg"

Ein edles Tröpfchen auf den Sieg:

Sebastian Vettel siegte souverän in Monza

Pole-Position und Sieg in Monza: Für Sebastian Vettel lief es in Italien wie am Schnürchen. Der WM-Spitzenreiter setzte sich nach einem klasse Überholmanöver gegen Fernando Alonso (Ferrari) erst an die Spitze des Feldes und später gegen sämtliche Konkurrenten durch. Unterm Strich kontrollierte der Deutsche das Geschehen souverän von ganz vorne und hat nun die Chance, schon in Singapur den Sack endgültig zuzumachen. In seiner Medienrunde will Vettel davon aber noch nichts wissen.

Frage: Sebastian, dein tolles Überholmanöver gegen Fernando Alonso brachte dich auf die Siegerstrasse. Auf dem Podest verdrücktest du dann ein paar Freudentränen, nicht wahr?

Sebastian Vettel: Ja, es war eine emotionale Geschichte. Dieser Kurs bedeutet mir eine Menge und ich habe hier bereits Besonderes erlebt. Hier erzielte ich meinen ersten Sieg. Als ich vorhin über die Linie kam, erinnerte ich mich an alle Einzelheiten. Dieses Podestergebnis ist einfach unglaublich. Wenn du dort oben stehst, fühlst du dich so auserkoren. Nicht viele Menschen dürfen so etwas erleben. Unter dem Treppchen waren so viele Leute, die aus der Curva Grande, von überall herströmten.Die Zielgerade war voller Menschen, einfach unglaublich. Monza war immer eine schwierige Strecke für uns. In den vergangenen zwei Jahren waren wir hier kaum konkurrenzfähig. Jetzt kamen wir erneut hierher und das Auto war wirklich klasse - schon in der Qualifikation und im Rennen noch viel mehr. Das war entscheidend. Mein Start war nicht so toll. Keine Ahnung, wo Fernando herkam, doch ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass wir zu dritt nebeneinander in die erste Kurve gingen. Ich hielt den zweiten Platz und nach dem Restart schnappte ich ihn mir. Er liess mir an dieser Stelle nicht sehr viel Platz. Ich weiß nicht, ob er damit rechnete, dass ich noch immer auf dieser Seite sein würde. Ich war zur Hälfte auf dem Gras, doch es reichte gerade so. Es machte sehr viel Spaß, denn das Auto war toll zu fahren. Es war ein klasse Rennen und es ist ein sehr spezieller Sieg. Das 150-Jahr-Jubiläum macht diesen Grand Prix auch für die Zuschauer zu etwas Besonderem. Vielen Dank an die Fans. Im vergangenen Jahr jubelten sie vielleicht noch etwas mehr, doch für mich ist es trotzdem etwas Herausragendes, wieder an diesem Platz zu stehen.

Drei Jahre liegen zwischen deinem ersten Sieg und deinem neuerlichen Erfolg in Monza. Die Emotionen schäumen über...

Ja. Der erste Sieg war natürlich etwas Besonderes. Unglaublich. Wieder hier zu sein, auf dieser Strecke, bringt all die Erinnerungen von 2008 und der vergangenen zwei Jahre zurück. Wir hatten immer ein grossartiges Auto, aber eben nicht in Monza. Es war keine Katastrophe, doch wir waren halt nicht konkurrenzfähig genug, um auf das Podest zu fahren. In diesem Jahr war es einfach phänomenal. Ich hatte schon am Freitag ein sehr gutes Gefühl. Alle treten hier mit sehr kleinen Flügeln an, um den Topspeed auf den Geraden zu optimieren. 2011 hatten wir einfach eine sehr gute Balance. Mein Auto war klasse.Es war ein fantastischer Tag, ein großartiges Rennen. Mein Start war nicht ideal, doch ich zeigte ein prima Überholmanöver. Danach konnte ich eine Lücke aufbauen und davon profitierte ich im restlichen Rennverlauf. Das Podest ist hier einfach super. Was es noch besser machen könnte, wäre, einen roten Rennanzug zu tragen. Alles in allem freut es mich aber, wieder auf dem Treppchen zu stehen.

Was hältst du von der Reaktion des Publikums?

Alle Fans, die ein Red-Bull-Shirt anhatten und eine Red-Bull-Fahne schwenkten, waren sicherlich sehr zufrieden. Die grosse Mehrheit trägt hier allerdings Rot. Das ist ja auch okay, denn es handelt sich um das Heimrennen von Ferrari.Es ist eine Atmosphäre, die auch die anderen Teams geniessen, weil es so viele Zuschauer sind. Als ich vor dem Rennen in der Startaufstellung stand und meine Blicke auf die Tribünen lenkte, wo ich die vielen Leute sah, egal welches Shirt sie anhatten, da dachte ich: 'Das Leben kann nicht schöner sein'. So viele Menschen feuerten uns an und ich bin ein Fahrer, der hier auftreten darf. Wie ich eben schon sagte: Das Einzige, was diesen Augenblick noch etwas schöner machen könnte, wäre, wenn du einen roten Overall tragen würdest. Für Fernando war es im vergangenen Jahr sicher etwas Besonderes. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es ist, die italienische Hymne zu hören. In diesem Jahr war es ein bisschen anders, aber trotzdem speziell. Mir bedeutet das eine Menge. Ich kann mich an viele Dinge erinnern. Immer, wenn ich nach Monza reise denke ich daran, wie ich ein kleiner Junge war, im Kart fuhr. Ich weiss gar nicht, wie viele Kilometer wir insgesamt zurücklegten, um hierher zu reisen. Wir fuhren mehrmals im Jahr in Italien und aus diesem Grund ist es etwas Besonderes. Das war es vor drei Jahren, das ist es jetzt.

Träumst du davon, einmal einen roten Rennanzug zu tragen, für Ferrari zu fahren und hier in Monza zu gewinnen?

Auf dem Podest unterhielt ich mich mit Jenson. Natürlich gab es Leute, die sich über unseren Sieg freuten. Die grosse Mehrheit fand es nach einer Weile aber nicht so toll, dass wir so viel Spass hatten. Das konnte man auch hören. Jenson sagte mir dann, das sei hier normal. Ich machte schon im vergangenen Jahr eine solche Erfahrung. Was die ganze Sache noch besser machen könnte, wäre das Tragen eines roten Rennoveralls. Nur dann würden dich alle Fans bejubeln. Schauen wir einmal, was in der Zukunft passiert. Im Augenblick bin ich sehr, sehr zufrieden. Die Geschichte war doch bisher ziemlich unglaublich. Ich schulde Red Bull eine ganze Menge. Ohne sie wäre ich nicht hier. Sie gaben mir eine Chance, als ich noch ein Kind war. Ich war zwölf Jahre alt. Wir haben einen langen gemeinsamen Weg. Für mich ist es etwas Besonderes, für dieses Team anzutreten. Dass ich Rennen gewinnen kann, ist fantastisch. Man weiss aber nie, was eines Tages passiert. Wir werden sehen.

Wann ging es dir durch den Kopf, dass du dieses Rennen gewinnen könntest?

Wirklich erst, als ich in der letzten Runde aus der Parabolica herauskam. Hier weisst du einfach nie. Ich wusste: Meine Position war sehr gut. 15 Runden oder dergleichen vor dem Ende sah ich, dass ich einen Vorsprung von 15 Sekunden hatte. Die Theorie sagte also: Ich könnte pro Runde etwa eine Sekunde langsamer sein und würde auf der letzten Runde trotzdem die Führung innehaben. Sicher kannst du dir aber nicht sein. Ein Umlauf in Monza ist lang und es gibt viele Randsteine. Du musst schon vorsichtig sein, damit du keinen Mist baust. Es geht darum, stets die Bremspunkte zu treffen. Für die Autos ist es ein sehr hartes Rennen. Du bist oft über 300 km/h unterwegs und musst deinen Rennwagen wieder herunterbremsen. Mir war klar: Wenn nichts Unvorhergesehenes passieren würde, wäre meine Ausgangslage klasse. Du weisst es halt nicht. Wir hatten schon Rennen, da passierte noch etwas am Ende. Du hoffst darauf, dass nichts kaputt geht und dass dein Auto durchhält. Zum Schluss ging es einfach darum, das Fahrzeug ins Ziel zu tragen.

Wie war es um die Reifenleistung bestellt? Gab es Verschleisserscheinungen?

Nein. Ich zog es vor, mit der weichen Mischung zu fahren. Ich denke, diese Variante war etwas schneller. Das war nicht nur am Anfang so, sondern über die komplette Distanz hinweg. Wir setzten aber natürlich trotzdem beide Mischungen ein. Die mittlere Sorte arbeitete ähnlich wie in Spa und war recht gut. Das Tempo war nicht so viel langsamer. Wir hatten also allesamt keine großen Schwierigkeiten. Die Geschwindigkeit schien... es schienen die üblichen Fortschritte zu sein, wenn das Benzingewicht geringer wurde. Da gab es keine Probleme. In Spa hatten wir zuletzt ein bisschen mit Blasenbildung zu kämpfen gehabt. Dort hatten wir alle möglichen Schwierigkeiten mit den Reifen. Hier schien es für uns sehr gut zu laufen. Wie ich höre, hatten andere gewisse Probleme. Für uns war es, wie ich schon sagte, ein recht glatt laufendes Rennen.

Als du dich in der Curva Grande neben Fernando setztest und auf dem Gras warst: Verlorst du dabei nicht an Schwung?

Ja. Ich freue mich schon darauf, diese Szene im Fernsehen zu sehen. Ich möchte wissen, wie viel Platz da wirklich noch war. Ich erwischte bei meinem Manöver einen guten Ausgang aus der Schikane. Daher wusste ich: Ich würde vor Kurve vier eine gute Chance haben. In der Curva Grande war ich mir nicht sicher, welche Seite ich wählen sollte, links oder rechts. Ich dachte mir: 'Fahre ich nach rechts, bin ich auf der Aussenseite, könnte beim Bremsen aber etwas vorne liegen.' Andererseits weiss ich ja, dass Fernando ein Fuchs ist. Er würde so spät wie möglich bremsen und es irgendwie hinbiegen, vor mir einzubiegen. Ich entschied mich spontan dazu, nach links zu fahren. Ich hoffte nur, dass er mich gesehen hatte. Er kam nämlich immer weiter nach links herüber. Es war nicht viel Platz. Ich blieb voll auf dem Gas und glücklicherweise öffnete sich die Kurve. Ich war mit zwei Rädern auf dem Gras und als ich neben ihm war, bemerkte er offensichtlich, dass ich noch immer da war. Auf der Bremse hatten wir noch einmal ein Duell. Es ging darum, wer zuerst in die Eisen stieg. Ich war Erster und er war ziemlich spät dran. Ich hatte aber die Innenseite und war ziemlich erleichtert, vor ihm zu sein.

Vor dem Rennen wurde sehr viel über die Getriebe-Übersetzung gesprochen. Warst du in Sorge, als du im Rennen plötzlich hinter Fernando lagst?

Nein, eigentlich nicht. Ich denke nicht, dass wir ein Risiko eingegangen sind. Das war schon in der Qualifikation der Fall. Alle konnten sehen: Wir hatten keinen tollen Topspeed, also waren unsere Gänge wahrscheinlich kürzer übersetzt als bei allen anderen. Wir waren aus diesem Grund nicht allzu optimistisch für die Qualifikation, denn wir konnten die Geschwindigkeit bei offenem Heckflügel nicht nutzen. Die Zuversicht vor dem Rennen war allerdings recht gross, weil wir im Duell keine Angst vor den Überholzonen hatten. Ich denke, das klappte prima. Ich konnte Fernando ohne DRS überholen. Eine Runde später wäre es vielleicht etwas einfacher gegangen.

In Singapur kannst du im Alter von nur 24 Jahren zum zweimaligen Weltmeister avancieren. Was hältst du von diesem Gedanken?

Ich denke nicht daran. Wow, das wusste ich nicht. Bislang war es ein unglaubliches Jahr, wenn ich ehrlich sein soll. Wir machten als Team unheimlich grosse Fortschritte und wurden in den vergangenen beiden Jahren nur noch stärker. Nach 2010 konnten wir noch einmal eine grosse Verbesserung erzielen. Wir manövrierten uns also in eine sehr gute Position. Ich liebe den Motorsport. Wir haben an jedem Wochenende von Neuem grossen Spass daran, das Auto aufzubauen. Man kann die Leidenschaft regelrecht spüren und das ist toll. Auch die Herausforderung ist da. Wir wollen einfach sicherstellen, ein sehr gutes Wochenende zu haben und alles Mögliche aus uns herauszuholen. Natürlich ist es schön, zu gewinnen. Wenn wir aber einen guten Sonntag haben und Dritter oder Fünfter werden, habe ich aber noch immer das Gefühl, das Ergebnis optimiert zu haben. Ich weiss also nicht, was ich darauf antworten soll. Wir werden Singapur wohl so angehen wie jedes andere Rennen auch. Wir reisen an und machen alles Schritt für Schritt. Dann schauen wir einmal. Ich liebe diesen Kurs, denn er ist sehr interessant. Ich kann mich an ein klasse Rennen mit Fernando erinnern, das zu seinen Gunsten ausging. Er wurde Erster, aber es war trotzdem super. Wir hatten ein hartes Rennen. Es ist eine lange Strecke, also freue ich mich darauf. Warten wir ab, was dort geschieht.

Du könntest dich bis Abu Dhabi in den Urlaub verabschieden und würdest danach noch immer solide vorne liegen. Besteht die Chance, dass du dergleichen tust, damit wir eine spannende Saison bekommen?

Ich bin vertraglich dazu verpflichtet, alle Rennen zu bestreiten. Vielleicht müsstet ihr einmal bei Christian (Horner) nachhaken. Nein, ich liebe es, hierher zu reisen und Rennen zu fahren. Schauen wir einmal, was in den kommenden Grands Prix passiert. Wir müssen es Schritt für Schritt angehen. Ich weiß nicht. Ich habe keine Pläne. Ich halte es für falsch, etwas zu planen, bevor es eintritt. Es wäre falsch, zu planen, was du mit einer Million Euro tun würdest, wenn du am Montag den Lottogewinn einfahren solltest. Erst einmal musst du gewinnen. Dann kannst du darüber nachdenken, was du mit dem Gewinn anstellen willst.

Wo würdest du lieber deine WM-Party schmeißen? In Singapur oder in Japan?

Das ist mir ziemlich egal. Wenn es in Abu Dhabi oder bis Abu Dhabi klappt, ist das ebenfalls in Ordnung.

Zweifelst du überhaupt daran, dass es klappt?

Nun, für sich selbst glaubt man an das, was man erreichen will und kann. Das muss man meiner Meinung nach aber niemandem aufzwingen. Unser Ziel ist, die WM zu gewinnen. Dafür sind wir in einer guten Position.

Dein Vorsprung beträgt 112 Punkte und du hast bereits acht Siege auf dem Konto. Kein Fahrer mit acht Siegen hat je den Titel noch verloren. Wenn wirst du dir selbst gute Chancen eingestehen?

Ich werde mir nicht einreden, in einer guten Position zu sein. Wenn man Fernando, Lewis, Mark oder wen auch immer fragen würde, sie würden sicher antworten, dass sie nur gerne mit mir die Position tauschen würden. Kein Zweifel. Es ist aber erst zu Ende, wenn es zu Ende ist - nicht vorher. Die Saison 2011 ist der beste Beweis dafür. Bis zur letzten Runde des letzten Rennens weißt du einfach nicht, was Sache ist. In diesem Jahr könnte es anders laufen, doch noch stehen einige Grands Prix aus. Wir gehen jedes Rennen an, um unsere Ergebnisse zu optimieren. Genau das taten wir hier. Wir wussten, dass es nicht das einfachste Rennen für uns werden würde, vor allem nach den Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre. In dieser Saison waren wir hier in Monza aber wieder konkurrenzfähig. Das war klasse für uns. Wir befinden uns in einer guten Position. Wir hätten am Sonntag nicht viel mehr machen können. Es war ein großartiges Rennen. Klasse Boxenstopps. Der Start war nicht so toll und das müssen wir uns für das nächste Rennen anschauen. Dann schauen wir weiter.

Du sprachst schon in Belgien über Probleme am Start. Reden wir hier über ähnliche Schwierigkeiten?

Ich würde sagen, dass es schwierig ist. In Spa wurden viele Leute davon überrascht, wie hoch das Gripniveau war. Darunter litten manche. Mark hatte einen schlechten Start in Belgien und das Notprogramm griff ein. Anderen Leuten ging es ähnlich, ausser vielleicht Nico. Hier in Monza war es anders. Ich denke, das Gripniveau war wesentlich niedriger. Ich hatte etwas zu viel durchdrehende Räder beim Losfahren und verlor daher etwas an Boden. Fernando erwischte hingegen einen tollen Start und fand gleich zu Beginn die Traktion. Deshalb fuhren wir Seite an Seite. Er hatte wohl den besten Start von allen, so weit ich das einschätzen kann.

Du sprichst von Fortschritten im Vergleich zum vergangenen Jahr. Wie erklärst du dir eine so gute Leistung des Autos, wenn du auf 2010 zurückblickst?

VIch denke, wir hatten schon im vergangenen Jahr ein grossartiges Auto. Es war sehr konkurrenzfähig. In diesem Jahr veränderten sich die Regeln und es ist eine andere Herangehensweise. Die wahre Stärke ist 2011 vielleicht nicht das schiere Tempo, denn wir hatten einige Rennen, die wir vielleicht nicht hätten gewinnen sollen, und Rennen, in denen es sehr eng war. Im Vergleich zum vergangenen Jahr machten wir also große Fortschritte. Alle sind sehr diszipliniert und wir machen kaum Fehler. Selbst wenn wir ein Problem haben oder das Fahrzeug nicht bei einhundert Prozent ist, können wir noch immer eine sehr gute Leistung herausholen. In der Garage wird deswegen niemand nervös. Unterm Strich besteht ein Team aus vielen Einzelpersonen: den Fahrern, den Mechanikern, den Ingenieuren. Wir treten als Team auf. Selbst wenn das Boot einmal etwas Seegang abbekommt, bleiben wir ruhig und wissen, was zu tun ist. Wenn es in diesem Jahr ein Geheimnis gibt, dann ist es das.

12.11.2011