Vettel: Der Weg ist das Ziel

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Sebastian Vettel schrieb beim heutigen Grand Prix von Japan in Suzuka Sportgeschichte und krönte sich zum jüngsten Doppelweltmeister aller Zeiten in der Formel 1. Mit gerade mal 24 Jahren und schon im 15. von 19 Rennen krönte er eine fast makellose Saison, in der dem Ausnahmetalent aus Heppenheim niemand das Wasser reichen konnte.

Vettel hätte seine WM-Party am liebsten mit einem Sieg gefeiert, doch das war ihm nicht vergönnt: "Ich bin sicher, du hättest das Rennen lieber gewonnen, aber trotzdem", funkte Renningenieur Guillaume Rocquelin während der Auslaufrunde, in der der alte und neue Champion unter dem Helm das eine oder andere Tränchen verdrücken musste: "Ich danke jedem Einzelnen von euch. Wir haben nichts als gegeben betrachtet und wir haben es geschafft!"

Vier Rennen vor Schluss Weltmeister

"Es fällt mir schwer, irgendwo anzufangen", erklärt Vettel mit gebrochener Stimme. "Es war ein fantastisches Jahr, auch wenn es noch nicht vorbei ist. Es ist klasse, dass wir unser Saisonziel schon so früh erreicht haben. Die anderen wissen auch, wie man Rennen fährt, aber dieses Jahr waren wir ihnen immer einen Schritt voraus." WM-Titel Nummer zwei sei allerdings "genauso verwirrend wie der erste, muss ich sagen", grinst er. Den Sieg sicherte sich heute völlig verdient Jenson Button, der Dominator des Wochenendes. Der McLaren-Pilot lieferte eine perfekte Fahrt ab und feierte seinen vielleicht emotionalsten Triumph in der Formel 1 in der Heimat seiner japanischen Model-Freundin Jessica Michibata, die ihm gemeinsam mit Vater John Button begeistert zujubelte. "Diese Strecke ist für uns alle etwas Besonderes. Wir lieben Suzuka. Vor so einem Publikum zu gewinnen, bedeutet mir viel", jubelt Button. Dabei hatte der Nachmittag für ihn mässig begonnen, denn nach einem tollen Start wurde er von Vettel innen in die Wiese abgedrängt. "Dafür muss er eine Strafe bekommen", forderte Button am Boxenfunk, aber die Rennkommissare um Ex-Weltmeister Alan Jones erhörten ihn nicht - eine Entscheidung, die Experte Marc Surer verwundert: "Wenn das andere Auto schon neben dir ist, musst du ihm eine Spur Platz geben. Das hat Sebastian definitiv nicht gemacht."

Zunächst kaum Überholmanöver

Also musste Button kurz lupfen, was sein Teamkollege Lewis Hamilton nutzte, um an ihm vorbeizuziehen. Dahinter blieb die Reihenfolge zunächst unverändert - und auch als in der dritten Runde der verstellbare Heckflügel (DRS) zum Einsatz freigegeben wurde, trug das nur wenig zur Überholaction auf der anspruchsvollen Aerostrecke bei. Also stellte sich relativ rasch die Frage, wie schnell die weichen Pirelli-Reifen wirklich abbauen würden. Der Erste, der dem hohen Verschleiß Rechnung tragen musste, war Hamilton, der in Runde acht erst Button durchliess und dann gleich die Box ansteuerte. Bis zur elften Runde war die erste Serie der Boxenstopps abgeschlossen. Grosser Verlierer: Hamilton, denn der Brite verlor eine Position gegen Fernando Alonso (Ferrari). Letzterer hatte kurz zuvor schon seinen Teamkollegen Felipe Massa ohne grosse Gegenwehr überholt. Die Autos der drei Topteams Red Bull, McLaren und Ferrari lagen über weite Strecken des Rennens innerhalb weniger Sekunden, im Finish spitze sich aber alles auf einen Dreikampf zwischen Button, Alonso und Vettel zu. Button wirkte im ersten und zweiten Stint jeweils um einen Tick schneller, als die weichen Reifen abzubauen begannen, und nach seinem Boxenstopp in Runde 20 kam er tatsächlich knapp vor Vettel wieder auf die Strecke.

Keine Chance gegen Alonso

Beim letzten Stopp wurde Vettel dann beim Überrunden aufgehalten, sodass auch noch Alonso durchschlüpfte. Der Traum vom Sieg schien damit in weite Ferne gerückt, denn: "Mein Manöver des Jahres gegen Fernando habe ich schon in Monza gesetzt - das wollte er mir heute nicht noch einmal durchgehen lassen", grinst der Red-Bull-Pilot. Am Ende fehlten 0,8 Sekunden auf Platz zwei und 2,0 Sekunden auf Sieger Button. Alonso hinterliess in den letzten Runden den stärksten Eindruck. "Es hat Spass gemacht", gibt der Spanier zu Protokoll. "Wir haben am Start kein Auto überholt, aber mit dem Reifenverschleiss war die Strategie sehr wichtig. Wir haben die Stopps richtig getimt, konnten mit McLaren und Ferrari fighten. Das war nach einigen schwierigen Rennen für die Moral des Teams wichtig, wenn wir ans nächste Jahr denken." Bis zwei Runden vor Schluss sah es sogar so aus, als könnte Alonso den Grand Prix gewinnen, als er seinen Rückstand von 3,7 auf 1,0 Sekunden reduzierte. Doch in der 52. von 53 Runden legte Button zu, fuhr die schnellste Runde im Rennen und ließ nichts mehr anbrennen. "Der musste Sprit sparen", ist sich Experte Surer sicher. Indiz dafür: Der McLaren-Pilot stellte gleich nach der Zieldurchfahrt den Motor ab und schenkte sich die Auslaufrunde.

Tolle Manöver von Webber und Sutil

Vierter wurde Mark Webber (Red Bull), bei dem sich Vettel im Rahmen der Pressekonferenz nach dem Rennen übrigens artig für die Unterstützung bedankte. Webber lag phasenweise nur an sechster Stelle, zeigte aber mit einem Überholmanöver vor der 130R-Kurve gegen Adrian Sutil (Force India), aus welchem Holz er geschnitzt ist. "Wo keiner damit rechnet, sticht er einfach rein", staunt Experte Surer. "Das kann der Kerl. Mut hat er wirklich!" Sutil liess diese Ohrfeige übrigens nicht auf sich sitzen und bewies ein paar Runden später an gleicher Stelle gegen Kamui Kobayashi (Sauber), dass auch er überholen kann. Das war zu jenem Zeitpunkt ein wichtiger Positionsgewinn für den Kampf gegen Sauber in der Konstrukteurs-WM, aber Sutils Einsatz wurde nicht belohnt: In den letzten Runden brachen seine Rundenzeiten ein, sodass er noch auf Platz elf zurückfiel - 10,1 Sekunden hinter Nico Rosberg (Mercedes). Eine Fortsetzung fand übrigens die Fehde zwischen den Streithähnen Hamilton und Massa, die sich in der 22. Runde in der Schikane trafen. Massa versuchte es aussen, Hamilton machte die Tür zu - und Massas Frontflügel verselbstständigte sich dabei. "Unnötig von Lewis. Aussen kannst du eh nicht überholen", kritisiert Experte Surer. Die Rennkommissare drückten aber ein Auge zu und liessen den späteren Fünften des Rennens ungeschoren davonkommen.

Starke Performance von Schumacher

Sechster wurde Michael Schumacher, der während der Safety-Car-Phase an die Box gekommen war und zum ersten Mal seit Suzuka 2006 einige komplette Führungsrunden abstaubte. Dies sei "unwichtig", aber: "Wir sind in der Situation, in der wir uns befinden, und machen das Maximum draus. Damit müssen wir zufrieden sein." Am Ende fehlten nur 2,8 Sekunden auf Hamilton, nach hinten hatte er 1,1 Sekunden Vorsprung auf Massa. Achter wurde Sergio Perez (Sauber), gefolgt von Witali Petrow (Renault) - jeweils mit Zweistoppstrategie. Den letzten Punkt sicherte sich Rosberg. Force India ging heute leer aus, ebenso wie Williams und Toro Rosso - eine herbe Enttäuschung für das Red-Bull-B-Team. Jaime Alguersuari (15.) war allerdings nur noch Einzelkämpfer, weil sich beim Schweizer Sebastien Buemi nach dem Boxenstopp ein Rad gelöst hatte.

Dass Lokalmatador Kobayashi seinen japanischen Landsleuten kein Lächeln ins Gesicht zaubern konnte, wie er es sich eigentlich vorgenommen hatte, zeichnete sich schon am Start ab: vom siebten auf den zwölften Platz. "Bei Kobayashi ist der Motor in den Keller gefallen", analysiert Experte Surer. "Er ist gut weggekommen, aber dann brach der Motor ein und die Drehzahl ging in den Keller." In der Folge konnte er nur noch mit einzelnen Überholmanövern begeistern.

Auf weichen Reifen nicht schnell genug

Doch das ging im Jubel um Sieger Button und Weltmeister Vettel ohnehin völlig unter. Der bedauert, dass er den Sack nicht mit einem Triumph zugemacht hat, kennt aber wenigstens die Gründe dafür: "Das heutige Rennen war nicht leicht, denn wir waren auf den weichen Reifen nicht so schnell wie erhofft", so der Deutsche. "Wir haben dadurch zwei Positionen verloren, aber es war schwierig, die wieder zurückzugewinnen." Nach dem Rennen holte er zu einer emotionalen Weltmeister-Ansprache aus: "Eine Person, die herausragt, ist die Person, mit der ich viel Zeit verbringe: mein Trainer Tommi", widmet er seinen zweiten Titel seinem Physiotherapeuten Tommi Pärmakoski, der ihn Tag und Nacht begleitet und jederzeit für sein Wohlbefinden sorgt. "Tommi ist derjenige, der mir dieses Jahr nie erlaubt hat, den Bezug zum Boden zu verlieren." Auch bei Red-Bull-Teamchef Christian Horner ist der Jubel riesengross: "Unglaublich! Es war ein gutes Rennen. Wir hätten es gerne gewonnen, aber Sebastian ist Weltmeister. Er ist wunderbar gefahren und verdient das. Es war ein traumhaftes Jahr und Seb kann stolz auf das sein, was er erreicht hat. Einfach phänomenal!" Vater Norbert Vettel brach ein Interview mit den TV-Kollegen von 'Sky' glatt ab, als er spontan zu weinen anfing...

Jüngster Doppelweltmeister aller Zeiten

Vettel, der sich 2010 den Rekord des jüngsten Weltmeisters gesichert hatte, zählt heute 24 Jahre und 98 Tage. Damit ist er ein Jahr jünger als der bisherige Rekordhalter Alonso bei seinem zweiten Triumph 2006 (25 Jahre, 85 Tage). Vettel ist auch der erste Pilot nach Alonso, der seinen Titel erfolgreich verteidigt und der 15., der sich mehr als einmal die Krone holt. Rang drei in der Liste der jüngsten Doppelweltmeister nimmt Schumacher ein, der 1995 26 Jahre und 292 Tage alt war. In Suzuka herrschten heute nicht nur deswegen volle Tribünen, grenzenlose Begeisterung und Partystimmung pur: Der Formel-1-Zirkus gastierte in Japan und die Gastgeber bedankten sich auf ihre Art. Bereits Stunden vor Beginn des Rennens säumten tausende Motorsportfans die Strecke. Den Fahrern, allen voran Red-Bull-Pilot Vettel und Lokalmatador Kobayashi vom Schweizer Sauber-Team, wurde ein warmherziger Empfang bereitet. Rund ein halbes Jahr nach dem verheerenden Tsunami und der anschliessenden Reaktorkatastrophe in Fukushima zeigten sich die Japaner dankbar. Auf zahlreichen Transparenten übermittelten sie ihre Grüsse an den Rest der Welt. "Vielen Dank, dass ihr nach Japan gekommen seid", lautete die häufigste Botschaft. Der Formel-1-Zirkus gab diesen Gruss mit zahlreichen Spezialhelmen und auflackierten Slogans zurück.

9.10.2011