Monisha Kaltenborn: GP Indien ist gut für F1

Monisha Kaltenborn (rechts)

Monisha Kaltenborn Narang, CEO des Sauber F1 Teams und die einzige Frau in dieser Position in der Formel 1, ist gebürtige Inderin und freut sich auf den ersten Grand Prix in ihrem Heimatland.

Frau Kaltenborn Narang, was bedeutet Ihnen der erste Grosse Preis der Formel 1 in Indien?


Monisha Kaltenborn Narang: Persönlich wird das für mich ein ganz spezielles Erlebnis, weil ich zum ersten Mal etwas Berufliches mit einem Besuch in meiner Heimat verbinde und das auch noch eingebettet in das Ereignis des ersten Grand Prix in Indien. Als CEO des Teams ist es immer sehr interessant, mit der Formel 1 in ein neues Land zu kommen, denn dabei eröffnen sich für ein Team neue Möglichkeiten. Neue Partnerschaften mit indischen Unternehmen können entstehen, und gleichzeitig erweitert sich die Plattform für die bestehenden Partner um einen bedeutenden Markt. Wir freuen uns sehr, dass wir in Amul eine der bekanntesten und stärksten indischen Marken für den Grand Prix gewonnen haben. Das hat für mich wiederum auch eine persönliche Komponente, denn natürlich verbinde ich Kindheitserinnerungen mit Amul-Produkten. Besonders die Butter mochte ich sehr.

Wann und weshalb haben Sie Indien verlassen?

Meine Eltern und ich haben Indien 1979 verlassen, damals war ich acht Jahre alt. Es gab für uns keinen zwingenden Grund, auszuwandern. Allerdings waren damals die Möglichkeiten für eine weiterführende Ausbildung im Ausland viel besser, und diese Chancen wollten mir meine Eltern bieten. Ohnehin war unser Familienunternehmen, ein Zweiradvertrieb, nicht gerade das Steckenpferd meines Vaters. Naheliegend wäre gewesen, dass unsere neue Heimat für meine Ausbildung ein englischsprachiges Land würde, aber wir sind in Österreich hängengeblieben. Wien war die erste Station unserer Reise, weil der Onkel meines Vaters dort bei der Atombehörde arbeitete, und es hat uns dort gefallen. Ich habe gleich eine österreichische und keine internationale Schule besucht, weil meine Eltern es wichtig fanden, dass ich die Sprache richtig erlerne und mich in die Gesellschaft integriere. In Wien habe ich dann auch mein Jura-Studium abgeschlossen und die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen. Das hatte administrativ viele Vorteile, und ausserdem verbindet mich natürlich auch mit diesem Land vieles, schliesslich habe ich dort eine wesentliche Zeit meines Lebens verbracht. Ich bin auch heute noch österreichische Staatsbürgerin, obwohl ich in der Schweiz lebe und mit einem Deutschen verheiratet bin.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit in Indien?

Ich habe sehr schöne Kindheitserinnerungen an Indien, insbesondere daran, wie mich meine Grosseltern verwöhnten. Ich war lange ihr einziges Enkelkind. Auch an die erste Zeit in der Schule und an die Freundschaften von damals erinnere ich mich gern. Ich besuchte die Welham Girls‘ High School in Dehradun, wo ich auch geboren wurde. Die Stadt ist eine der ältesten des Landes und liegt im Norden. Die Schule war ein renommiertes Mädcheninternat, und es ging uns sehr gut dort. Zuhause hatte ich ausserdem noch drei Hunde, die ich heiss und innig liebte.

Sprechen Sie noch Hindi?

Ich spreche leider nicht mehr gut Hindi, das liegt daran, dass ich lange wenig Gelegenheit dazu hatte. Mittlerweile ändert sich das wieder, weil ich versuche, mit meinen Kindern ab und zu Hindi zu sprechen. Mein Sohn ist neun Jahre alt, meine Tochter sechs Jahre. Und ich möchte, dass sie die Sprache erlernen. Viel mehr noch als von mir lernen sie aber von meinen Eltern, die sich da ganz besonders engagieren. Bestimmte Wörter in unserer Familie werden sogar nur auf Hindi benutzt. Es sagt zum Beispiel niemand Tee bei uns. Das ist Chai. Oder als die Kinder noch kleiner waren und von jemandem hoch auf den Arm genommen werden wollten, riefen sie immer ‚godi‘, den Ausdruck haben dann sogar meine deutschen Schwiegereltern adaptiert.

Waren Sie nach Ihrer Auswanderung nach Österreich noch häufig in Ihrer Heimat?

Ja, während der Schul- und Studienzeit war ich sehr regelmässig dort. Und wir haben auch in Indien nach Hindu-Ritus geheiratet, das war ein grosses, buntes und frohes Fest. Seit die Kinder da sind, wurden die Besuche etwas seltener, und seit 2010, seit ich als CEO auch bei jedem Grand Prix vor Ort bin, blieb bisher keine Zeit für eine Indienreise. Umso mehr freue ich mich jetzt darauf.

Wie schätzen Sie das Interesse an der Formel 1 in Indien ein?

Ich glaube, dass das Interesse im Land gross ist. Ich hatte den Eindruck, dass die Aufmerksamkeit in den zurückliegenden Monaten stark wuchs. Je näher der Grand Prix rückte, desto mehr Medienanfragen aus Indien erreichten uns. Grundsätzlich ist es in Indien für keine Sportart leicht, neben Kricket einen Platz zu finden. Aber ich bin überzeugt, dass dieser Grand Prix ein grosser Schritt ist, damit sich unser Sport auch in Indien etablieren kann.

Wie wichtig ist die Formel 1 für Indien, und wie wichtig ist Indien für die Formel 1?

Die Formel 1 trägt in diesem Jahr 19 Rennen in 18 Ländern aus. Das ist ein exklusiver Zirkel, und es ist sicher gut und richtig, dass Indien nun zu diesem Kreis gehört. Darin spiegelt sich die globale und wirtschaftliche Bedeutung dieses Landes wider. Für die Formel 1 wiederum ist Indien ein sehr grosser Markt und hat somit für viele Unternehmen, die zum Teil auch schon in der Formel 1 engagiert sind, grosses Potenzial. Zudem ist Indien heute ein High-Tech-Standort mit hervorragend ausgebildeten Spezialisten. Der Grand Prix könnte ein Türöffner sein, damit mehr indische Ingenieure und Firmen den Weg in die Formel 1 finden. Ich denke, für beide Seiten, für das Land und für die Formel 1, ist die Zugehörigkeit zur Weltmeisterschaft stimmig.

Verfügen Sie über Eigenschaften, die Sie für typisch indisch halten?

Ich habe eine gewisse Ruhe und Offenheit, was vielleicht typisch indisch ist. Ich kann Situation akzeptieren und annehmen. Es gibt immer wieder Szenarien, in denen Aufregung Energieverschwendung ist, weil man sie nicht ändern kann. Wichtig ist dann, sich darauf einzustellen, indem man sich anpasst und von dort aus entscheidet, wie man wieder vorwärts kommt. Als Team haben wir 2009 gravierende Einschnitte in sehr kurzer Zeit erlebt. Man musste das Geschehene möglichst schnell akzeptieren, um mit der neuen Situation umzugehen.

Bevor Sie Anfang 2010 CEO des Sauber F1 Teams wurden, hat die Öffentlichkeit Sie kaum wahrgenommen. Welchen beruflichen Hintergrund haben Sie?

Nach dem Studium habe ich in Deutschland und in Wien in Anwaltskanzleien gearbeitet. Dann ging ich 1998 zur Fritz Kaiser Gruppe nach Liechtenstein und kam dort auch erstmals mit der Formel 1 in Kontakt. Ich war als Juristin zuständig für das Engagement der FKG beim damaligen Red Bull Sauber Team. Anfang 2000 wechselte ich dann ganz zu Sauber und übernahm die Rechtsabteilung, ab 2001 war ich Mitglied der Geschäftsführung und dadurch in sämtliche internen Vorgänge sowie die Zusammenarbeit mit der FIA, der FOM und den anderen Teams involviert.

Inwiefern ist es etwas Besonderes für Sie, als einzige Frau eine solche Position in der Formel 1 zu bekleiden?

Aufgrund des Werdegangs, wie eben beschrieben, war der Schritt für mich und auch für das Team keine Überraschung. Als ich die Position als CEO antrat, war mir überhaupt nicht bewusst, dass es in der Aussenwahrnehmung eine Rolle spielen würde, dass ich eine Frau bin. Ich bekleide diese Aufgabe mit Leidenschaft und sehe keinen Grund, warum ich das als Frau nicht tun sollte. Mittlerweile ist mir natürlich klar, dass dies nicht überall so selbstverständlich angenommen wird. Es würde mir Freude bereiten, wenn die Konsequenz daraus wäre, dass andere Frauen, die ein Interesse an unserem Sport hegen, durch dieses Beispiel in ihrer Zielsetzung bestärkt würden.

Wie beurteilen Sie die Leistungen des Sauber F1 Teams 2011 bisher?

Grundsätzlich bin ich mit der Saison recht zufrieden, vor allem wenn man bedenkt, was wir seit 2009 alles zu überwinden hatten. Es war unser Ziel, uns 2011 gegenüber 2010 klar zu verbessern. Wir hatten eine insgesamt starke erste Saisonhälfte. In der zweiten Hälfte kamen dann verschiedene Faktoren zusammen, die uns Punkte kosteten und dazu führten, dass wir den zunächst erarbeiteten Vorsprung einbüssten.

Welches sind die Ziele für die verbleibenden drei Rennen der Saison?

Ganz klar: Wir wollen den kürzlich abgegebenen sechsten Platz in der Weltmeisterschaft der Konstrukteure zurückholen.

Was wünschen Sie sich vor dem ersten Grossen Preis von Indien?

Ich wünsche mir, dass Indiens Formel-1-Debüt ein grossartiges sportliches Ereignis wird und das Sauber F1 Team mit einer guten Vorstellung zur Begeisterung der Zuschauer beiträgt.

19.10.2011