Whiting: "Brauche eine dicke Haut"

In Südkorea forderte Vettel wegen Dunkelheit

einen vorzeitigen Abruch

Nicht nur die Formel-1-Piloten stehen an den Renn-Sonntagen fast zwei Stunden lang unter Hochdruck. Dies gilt vor allem auch für Charlie Whiting. Der Brite fungiert seit 1997 bei allen Grands Prix als Renndirektor. Er ist es, der die Startampel auslöst, der entscheidet, wann ein Safety-Car auf die Strecke geht und welches strittige Manöver von den Rennkommissaren untersucht werden sollte.

Laut eigenen Angaben steht er heute unter grösserem Druck als in der Vergangenheit. "Diese Seite meines Jobs wird immer anspruchsvoller, weil jeder Zwischenfall viel genauer untersucht wird", erklärt der Brite gegenüber 'GPWeek'. "Dennoch glaube ich, dass wir die Situation im Griff haben, da uns mehr Technologie zur Verfügung steht, um die Zwischenfälle zu analysieren und jegliche Fehltritte auf der Strecke zu erkennen."

Zwei Stunden unter Hochdruck

Nicht immer geht die Rechnung allerdings auf, wie der Grand Prix von Monza beweist. Als Whiting die Rennkommissare beauftragte, eine Situation zwischen Felipe Massa und Jarno Trulli zu untersuchen, ging das harte Manöver Michael Schumachers gegen Lewis Hamilton, das gleichzeitig in der Curva Grande stattfand, völlig unter. Doch in Whitings Funktion ist es beinahe unmöglich, fehlerlos zu bleiben. "Jedes Rennen bringt unterschiedliche Arten von Druck mit sich", weiss der Brite. "Zwei Stunden lang bin ich unter Druck und man weiss nie, was passieren wird. Wir stoßen immer wieder auf Zwischenfälle, die wir noch nie erlebt haben." Doch genau das macht auch den Reiz aus: "Eines der besten Dinge an diesem Job ist die Unberechenbarkeit."

Wie Whiting die Grands Prix startet

Der 58-Jährige ist als Rennleiter auch der Mann, der für die Start-Prozedur verantwortlich ist - er gibt zu, dass die Anspannung trotz seiner enormen Routine in den Sekunden, wenn die Piloten ihre Startpositionen einnehmen, immer noch gross ist: "Es herrscht Hochspannung, denn man muss in Sekunden-Bruchteilen die Entscheidung treffen, ob der Start abgebrochen werden muss. Das ist ein aufregender Teil dieses Jobs. Ich passe genau auf, wo die Autos stehen, ob alles am richtigen Platz ist, ob Fahrer in Problemen stecken - und ich muss die Konzentration bewahren." Erst, wenn alles bereit ist, beginnt Whiting mit der Bedienung der Ampel: "Wenn ich den Ablauf auslöse, gehen die roten Lichter automatisch an. Wenn alle fünf roten Lichter an sind, entscheide ich, wann sie ausgehen. Das mache ich manuell. Es gibt keinen Algorithmus, der die fünf roten Lichter ausschaltet."

Teams wollen Whiting instrumentalisieren

Während des Rennens ist Whiting ständig mit den Rennkommissaren und mit den Teams verbunden. Er spricht Verwarnungen aus, wie zuletzt gegen Schumacher. Doch es kommt auch vor, dass die Rennställe Druck auf den Briten ausüben, der meint, in seinem Job eine dicke Haut zu benötigen. Er verweist auf den Grand Prix von Südkorea im Vorjahr, als der Start wegen des schlechten Wetters ständig verschoben werden musste und das Rennen bei Dunkelheit zu Ende ging. "Als es in Südkorea dunkel wurde, wollte ein Team, dass das Rennen abgebrochen wird", spielt er auf Red Bull an. "Der Grund war tatsächlich, dass ihr Fahrer ein dunkles Visier hatte. Es war aber gar nicht so schlimm und er war der einzige, der sich beschwert hat. Aber er führte das Rennen an und es war in seinem Interesse." Wenig später schied Vettel mit einem Motorschaden aus - ein herber Rückschlag im Titelkampf. "Wir müssen in solchen Situationen den Durchblick bewahren", weiss Whiting. "Man stellt uns verzerrte Fragen und argumentiert mit vorgeschobenen Gründen."

Macht Whiting die Rennen künstlich spannend?

Immer wieder muss sich Whiting auch den Vorwurf gefallen lassen, auf Geheiss Ecclestones die Rennen künstlich spannend zu machen, indem er das Safety-Car ohne wahren Grund auf die Strecke schickt, damit sich das Feld wieder zusammenschiebt. "Einige Leute sind der Meinung, dass ich von Bernie unter Druck gesetzt werde und zum Beispiel das Rennen abbreche oder das Safety-Car rausschicke, weil das Rennen langweilig ist", bestätigt er. Doch Whiting, der Ecclestone aus gemeinsamen Brabham-Tagen gut kennt, schwört: "Hand aufs Herz: So etwas ist nie passiert und es wird nie passieren. Bernie macht so etwas nicht. Auch wenn es die Wahrnehmung war, dass ich für diese Art des Drucks anfällig sei. Mehrmals haben die Leute gefragt: 'Warum hast du das Safety-Car rausgeschickt?' Es ist nicht meine Angewohnheit, mich für einen Safety-Car-Einsatz zu rechtfertigen, denn ich glaube nicht, dass wir das tun müssen. Es sollte ziemlich offensichtlich sein." Dass die Fans nicht immer zu 100 Prozent seiner Meinung sind, stört ihn kaum: "Ich kann nicht immer jeden glücklich machen. Ich bin mit den meisten unserer Entscheidungen ziemlich zufrieden. Im Nachhinein hätte man manches natürlich besser machen können - aber dieses Gefühl hat wohl jeder von Zeit zu Zeit."

14.9.2011