Ist Vettel noch einholbar?

Sebastian Vettel

hat die Konkurrenz im Blick, doch wer soll ihn schlagen?

Die Rivalen schwanken zwischen Zweckoptimismus und Verzweiflung, doch wahre Zuversicht spürt im Titelrennen 2011 nur einer: Sebastian Vettel. Der amtierende Weltmeister führt nach acht Rennen mit 186 WM-Punkten und einem Vorsprung von 77 Zählern auf McLaren-Pilot Jenson Button und seinen Teamkollegen Mark Webber in der Tabelle. Der "Aussie" hatte erst kürzlich ausgesprochen, was sich viele denken: Bis auf den Heppenheimer gibt es in dieser ersten Saisonhälfte nur Verlierer.

Doch es wäre nicht das erste Mal, dass ein Fahrer sensationell in die Saison startet und gegen Ende doch noch in Bedrängnis kommt. Man erinnere sich nur an Button, der 2009 zu Saisonbeginn kaum Gegner zu haben schien und schliesslich den Titel im letzten Rennen mit viel Bauchweh gegen Vettel absicherte.

Buttons Absturz 2009 gibt Hoffnung

Ausgerechnet in Silverstone begann damals der Absturz Buttons - vor dem Grand Prix von Grossbritannien hatte er mit 61 Punkten mehr als doppelt so viele Punkte wie sein späterer Titelrivale aus Deutschland - nach neuem Punktesystem hätte der Vorsprung sogar 82 Punkte betragen. Am Ende wurde es aber richtig knapp: Aufgrund eines verpatzten Wochenendes in Brasilien fehlten dem Red-Bull-Piloten bloß elf Punkte. Im Vergleich dazu ist die Situation der Rivalen Vettels gar nicht so aussichtslos, denn Button, Webber, und sogar Lewis Hamilton haben derzeit mehr als halb so viele Punkte wie Vettel.

Die vier grössten WM-Wendungen

Doch es gibt in der Formel-1-Geschichte sogar Fälle, in denen ein enormer Vorsprung am Ende nicht ausreichte. Kimi Räikkönen gelang es 2007, Hamilton noch abzufangen - der Brite wurde am Ende seiner Debütsaison zum Opfer mangelnder Reife und eines tobenden Stallkrieges mit seinem Teamkollegen Alonso. Der grösste Vorsprung des McLaren-Stars während der Saison auf den späteren Ferrari-Champion betrug 26 Punkte - nach dem aktuellen Punktesystem wären das 65 Zähler. Noch gravierender war der Abstand 1976 zwischen WM-Leader Niki Lauda und seinem Rivalen James Hunt - der Österreicher lag einmal sogar 35 Punkte (97 nach dem aktuellen System, Anm.) voran. Doch dem damaligen Ferrari-Piloten wurde sein lebensbedrohlicher Feuerunfall auf der Nürburgring-Nordschleife zum Verhängnis. Beim Saisonfinale gab er aufgrund der sintflutartigen Regenfälle nach dem Start auf - Hunt staubte den Titel ab.

Senna und Surtees schlagen zurück

Nicht ganz so gross war der Abstand 1988, als Ayrton Senna in der ersten Saisonhälfte in Rio und in Monaco crashte und daher rasch 18 WM-Punkte hinter seinem Teamkollegen Alain Prost lag - das wären nach aktueller Rechnung 50 Punkte gewesen. Dennoch konnte der McLaren-Neuling die WM noch drehen und am Ende seinen ersten Titel feiern. Und auch 1964 verlor ein Pilot einen bereits sicher geglaubten WM-Triumph: Jim Clark hatte sich 1964 bis zur Saisonmitte dank Ferraris Zuverlässigkeitsproblemen einen Vorsprung von 20 Punkte (56 nach dem aktuellen System, Anm.) erkämpft. Doch John Surtees liess nicht locker und krönte sich schliesslich dank eines Motorschadens bei Clark mit einem Sieg in Mexiko zum Weltmeister - damit ist er bisher der einzige, der dies auf dem Motorrad und in der Formel 1 schaffte.

Die Schlüsse aus der Geschichte

Diese vier gravierendsten Wendungen in Formel-1-Titelkämpfen beweisen zwar, dass Vettels Titel 2011 noch nicht in trockenen Tüchern ist, schliesslich war Laudas Vorsprung nach dem aktuellen Punktesystem grösser als der Vettels, doch damals war der überraschende Triumph Hunts durch Laudas Unfall auf besondere Umstände zurückzuführen. das heisst: Passiert nichts Aussergewöhnliches, wird Vettel Champion. Die Meinung der Fans ist daher keine grosse Überraschung: 48,92 Prozent können sich nur dann einen anderen Weltmeister als Vettel vorstellen, wenn "er eine unwahrscheinliche Pechsträhne hat." 20,23 Prozent der User glauben, dass "noch nichts entschieden ist", 30,86 Prozent meinen, "die Saison ist gelaufen."

Alonso sieht Parallelen zu 2010

Für Alonso war es im Vorjahr der Grand Prix von Grossbritannien, der ihn trotz eines frustrierenden Rennens in den Titelkampf zurückbrachte. Ferrari hatte seinen Boliden mit einem umfassenden Aerodynamik-Paket wieder siegfähig gemacht, was der Spanier beim Rennen in Hockenheim unter Beweis stellte. Der WM-Fünfte erkennt interessante Parallelen zwischen dieser Saison und der letzten: "Wir liegen zwar weit hinter dem Führenden, und das vielleicht Schlimmste an diesem Jahr ist, dass Vettel fast alle Rennen ungehindert gewonnen und keinen Fehler gemacht hat. Die anderen liegen aber gleich wie im Vorjahr."

Alonso bisher sogar besser als im Vorjahr

Vettels grosser Titelrivale 2010 hat recht: Wenn man - abgesehen vom 2011 abgesagten Bahrain-Grand Prix - die ersten acht Rennen betrachtet, fällt auf, dass tatsächlich nur Vettels Punktestand deutlich vom Vorjahr abweicht. Der Red-Bull-Pilot hatte im Vorjahr zur gleichen Zeit 103 Punkte, jetzt sind es 186.

Überraschend ist, dass Alonso - freilich ohne seinen Bahrain-Sieg - 16 Punkte und Webber zehn Punkte mehr auf dem Konto hat als zu diesem Zeitpunkt 2010. Bei Button (-6), Felipe Massa (-7) und Hamilton (-15) sieht es hingegen schlechter aus als im Vorjahr. Auch die Teamstatistik ist interessant: Red Bull verbesserte sich aufgrund der deutlich besseren Chancenauswertung um 93 Punkte, Ferrari um 9, McLaren muss hingegen einen Rückfall um 21 Punkte hinnehmen. Dadurch wird klar, dass Vettels Rivalen nun auf Pech bei Red Bull und Vettel hoffen müssen, sich selbst aber keine Fehler mehr erlauben dürfen. Auch dem Zwischengas-Verbot kommt daher eine besondere Bedeutung zu, schließlich müssen die Red-Bull-Rivalen den technischen Rückstand dringend aufholen, wollen sie noch aktiv in den Titelkampf eingreifen. Derzeit glauben aber nur die kühnsten Optimisten bei der Konkurrenz wirklich an einen plötzlichen Absturz des Weltmeister-Teams.

8.7.2011