Lauda über Hamilton, Button und Vettel

Niki Lauda weiss alles:

Ein sympathischer Egoist, dieser Niki Lauda

Seit dem Ende seiner Sieg-Durststrecke in Ungarn gibt bei McLaren ganz klar Jenson Button den Ton an. Der Brite stand in den vergangenen fünf Rennen immer auf dem Podest, holte zwei Siege, zwei zweite Plätze und einen dritten Platz. Damit bewegt er sich seitdem mit Weltmeister Sebastian Vettel auf Augenhöhe, der im gleichen Zeitraum nur sieben WM-Punkte mehr an Land zog. Teamkollege Lewis Hamilton wirkt hingegen verunsichert - fährt von einem Malheur zum nächsten.

Kein Wunder, dass Button in der Weltmeisterschaft erster Verfolger von Vettel ist, dem fünftplatzierten Hamilton fehlen bereits 32 Punkte - also mehr als ein Sieg - auf den derzeit schnelleren McLaren-Piloten. Dabei wurde dieser im Vorjahr bei seinem Wechsel ins Hamilton-Team von vielen Experten sogar für verrückt erklärt - die Position des Weltmeister 2008 schien bei McLaren einzementiert. Doch ist Button inzwischen McLarens heissestes Eisen im Kampf um die WM-Krone 2012? "Jein", will sich Niki Lauda gegenüber 'ServusTV' nicht ganz festlegen. "Die Nummer eins im Team hat er nicht, er hat ja den Kampf gegen Lewis. Button muss sich also gegen Hamilton durchsetzen, der eigentlich der schnellere wäre".

Laut der Formel-1-Legende kann Button derzeit nur glänzen, weil Hamilton - "der im Moment einen richtigen Durchhänger hat" - sein Potenzial diese Saison nicht ausschöpft. "Er geht unnötige Risiken ein, beendet viele Rennen nicht und rempelt andere von der Strasse, wie jetzt wieder mit Massa", übt der Österreicher einmal mehr Kritik am McLaren-Star. "Dass die Stewards da nichts gemacht haben, war wirkliches Glück." Lauda kann nicht nachvollziehen, warum Hamilton immer wieder in umstrittene Situationen gerät: "Der fährt eigentlich richtig gut Auto, aber warum er am Schluss nicht diesen einen Millimeter vom Gas geht und das auch umsetzt, das verstehe ich persönlich nicht." Er rechnet damit, dass im Stallduell zwischen Hamilton und Button noch keine Vorentscheidung gefallen ist: "Der Kampf wird auf jeden Fall weitergehen."

Vettel zwischen Pazifismus und Killerinstinkt

Erst ein Blick auf Mark Webbers Saison 2011 zeigt, wie stark Sebastian Vettel diese Saison wirklich war: Nur einmal stand der Weltmeister als Vierter nicht auf dem Podest, neun von 15 Grand Prix beendete er als Sieger. Der "Aussie" triumphierte nie, selbst ohne Vettel hätte er bloss zwei Rennen gewonnen. "Sebastian hat das ganze Jahr über gegen die anderen Fahrer und Autos eine derartige Top-Performance gebracht. Man kann im dazu nur gratulieren", zieht Formel-1-Legende Niki Lauda gegenüber 'ServusTV' die Kappe vor Vettel. Noch im Vorjahr hatte Webber, der übrigens von Niki Lauda Ende 2002 zu Jaguar und damit zum Red-Bull-Vorgängerteam geholt wurde, seinem jungen Teamkollegen das Leben so richtig schwer gemacht. Wie ist die Leistungsexplosion Vettels zu begründen? Der Österreicher - selbst dreifacher Formel-1-Champion - hat eine Theorie: "Der erste Titel ist der schwierigste. Man fängt mit dem Go-Kart an und benötigt acht bis zehn Jahre, bis man es in die Formel 1 geschafft hat. Dann dauert es noch ein paar Jahre, bis man Weltmeister wird."

Weiter Weg zum ersten Titel

Für Lauda beginnt der Weg zum ersten Formel-1-WM-Titel tatsächlich in der Kindheit, wenn die Motorsport-Karriere seinen Lauf nimmt: "Der Kampf um die erste Weltmeisterschaft ist ein längerer und wesentlich schwierigerer. Der zweite kommt einfacher und man hat die Erfahrung der ersten Weltmeisterschaft hinter sich, man weiss, was auf einen zukommt." Doch damit will Lauda nicht sagen, dass der zweite WM-Titel emotionell nicht gleichwertig wäre. "Und dass Sebastian ein sehr emotioneller Mensch ist, wissen wir mittlerweile - durch seine Schreiereien, die er nach dem Sieg im Cockpit vollführt", so der nunmehrige Fluglinien-Besitzer, der sich über die Tränen des Deutschen auf dem Siegerpodest in Monza wunderte. "Wahrscheinlich hat er sich über sein Überhol-Manöver an Alonso in der Wiese nachher erst geschreckt", sagt er. "Es war für mich jedenfalls interessant zu beobachten, weil er mit seinen jungen Jahren ein irrsinnig emotioneller Typ ist. Das merkt man auch bei den Interviews und bei seiner Ausdrucksweise - und das macht ihn ja so sympathisch."

Wie egoistisch ist Vettel?

Lauda sieht das Verhalten des Red-Bull-Piloten teils als widersprüchlich an. Einerseits nimmt er den 24-Jährigen als "extrem sympathischen, jungen Mann" wahr, "der keiner Fliege was zu leide tun würde. So kommt er rüber, das ist sein Naturell." Andererseits weiss er, dass Erfolg in der Königsklasse des Motorsports nur über eine ausgefeilte Ellbogentechnik möglich ist. "Wenn du gewinnen willst, dann musst du brutaler und egoistischer sein, schneller ins Ziel kommen wollen - also all das, was Menschen, die nicht im Spitzensport sind, unsympathisch finden", glaubt Lauda - und gibt offen zu: "Ich werde auch öfter von meiner Frau als Egoist bezeichnet, ich würde aber sagen, ich bin ein sympathischer Egoist." Der Formel-1-Experte glaubt, dass auch Vettel diesen Killerinstinkt besitzt und verweist auf das Manöver des Titelverteidigers nach dem Start gegen den von hinten heranstürmenden McLaren-Piloten Jenson Button. Vettel habe "all das, was man als normaler Mensch nicht haben sollte, nämlich genau das, was er auch am Start gemacht hat, wie er sein Auto fährt, wie er sein Team fordert, wie er egoistisch schnell zum Ziel kommt. Das ist die tolle Kombination an ihm."

Warum Lauda wusste, dass Vettel nicht bestraft wird

Dass Vettel trotz Buttons Aufforderung an Rennleiter Charlie Whiting, den Gegner zu bestrafen, ungeschoren davonkam, wundert Lauda nicht. Als er am Vorabend des Rennens mit Whiting und Blash zusammengesessen hatte, tauchte plötzlich sein alter Weggefährte Allan Jones auf, der als Rennkommissar fungierte. Aufgrund des Naturells des Australiers war sich Lauda nach Vettels Manöver "ganz sicher, dass das nach ein paar Runden erledigt sein würde". "Jones ist ein alter Haudegen. Er sieht das wie ein Rennfahrer der alten Garde", spielt Lauda auf die Zeiten an, als raue Manöver in der Formel 1 noch zur Tagesordnung gehörten. Jones interessiere sich auch nicht für die modernen Hilfsmittel, die den Rennkommissaren zur Verfügung stehen. "Er hat sich beschwert, dass ihm die anderen Stewards immer Rundenzeiten und Ausdrucke zeigen, was die Fahrer am Funk sagen. Er hat gesagt, dass ihn das alles nicht interessiert." Lauda findet aber, dass die Entscheidung, Vettel nicht zu bestrafen in Ordung geht: "Einmal darf man die Spur wechseln, also überhaupt kein Problem."

Vettel macht Lauda bald Konkurrenz

Lauda ist klar, dass der Heppenheimer seiner eigenen Erfolgsbilanz bald Konkurrenz macht. "Wenn ich richtig rechne, habe ich jetzt zwei Titel und der Niki drei", leitet Vettel gegenüber 'ServusTV' mit Augenzwinkern eine Kampfansage gegen den Österreicher ein. "Also - Niki, nimm dich in Acht, ich komme. Und wenn es klappt, dann packe ich dich auch noch. Schauen wir mal." Lauda reagiert gelassen: "Da mach ich mir überhaupt keine Sorgen." Die Formel-1-Legende rechnet damit, dass der vom Red-Bull-Piloten in der ewigen Bestenliste bald überholt wird. "Und wenn er so weitermacht, dann macht er's gleich nächstes Jahr."

12.10.2011