Wie gut ist Vettel in einem unterlegenen Auto?

Mercedes-Teamchef Ross Brawn

hat schon mit einigen grossen Fahrern gearbeitet

Sebastian Vettel hat sich in Suzuka zum jüngsten Formel-1-Doppelweltmeister der Geschichte gekürt. Nachdem die Saison 2010 noch von Höhen und Tiefen geprägt war, lief in diesem Jahr alles (fast) perfekt. Der Deutsche hat das Potenzial des besten Autos im Feld perfekt umgesetzt, reihenweise Pole-Positions herausgefahren und die Rennen von der Spitze aus dominiert und kontrolliert. Es haben dagegen schon viele Fahrer in der langen Formel-1-Geschichte darüber berichtet, dass sie um einen zehnten Platz mehr kämpfen müssen als um einen Sieg.

In der laufenden Saison hat Vettel die Kämpfe im Mittelfeld nur beim Überrunden gesehen. Mercedes-Teamchef Ross Brawn ist der Meinung, dass auf den Red-Bull-Piloten noch die grösste Herausforderung seiner Karriere wartet, nämlich dann, wenn er in keinem konkurrenzfähigen Auto sitzt und sich kleine Punkte mühsam erkämpfen muss. "Was bei Sebastian kommen wird, und es wird eine interessante Phase seiner Karriere werden, ist, wenn er nicht im besten Auto sitzt. Wenn man den besten Fahrer in das beste Auto setzt, dann ist diese Kombination unschlagbar", wird Brawn von 'Autosport' zitiert. "Es wird interessant werden zu sehen, wie Sebastians Rolle, sein Einfluss und seine Position sein wird, wenn er einmal nicht das beste Auto hat, sondern das Fahrzeug zum besten Boliden entwickeln muss. Das wird ein weiteres Kapitel von Sebastian Vettel wenn es soweit ist - und es wird kommen", ist sich der Brite sicher.

Nur in der Saison 2008 ist Vettel in einem Mittelfeldauto gefahren. Aus dem Jahr mit Toro Rosso ist in erster Linie das "Wunder von Monza" in Erinnerung geblieben. Trotzdem gab es auch Schwierigkeiten, denn in den ersten elf Rennen kam der Heppenheimer nur fünfmal ins Ziel, dreimal davon in die Punkteränge. Das ist aber lange her. Vettel hat sich mit jeder Saison kontinuierlich gesteigert und das Level höher gelegt. Brawn zieht einen Vergleich mit Michael Schumacher, der sich nach seinen beiden WM-Titeln mit Benetton einer neuen Herausforderung gestellt hatte und zu dem damals unterlegenen Ferrari-Rennstall wechselte. Der Rekordweltmeister führte das Traditionsteam wieder zu Weltmeisterehren. Das gleiche versucht er nun mit Mercedes.

Brawn schätzt, dass Vettel in Zukunft einen ähnlichen Weg einschlagen könnte. "Vielleicht macht er das sogar selbst und geht zu einem anderen Team, das er erfolgreich machen will. Die Herausforderung wäre dann genau gleich wie bei Michael damals. Man hat zwei Weltmeisterschaften gewonnen, und was kommt dann? Was ist meine neue Herausforderung? Was ist die Motivation? Für Michael lag die Motivation darin, zu Ferrari zu gehen und das Team erfolgreich zu machen. Ich glaube, Sebastian wird sich auch damit beschäftigen, weil alle sagen, dass er ein grossartiger Fahrer ist, aber der Red Bull ist ein fantastisches Auto. Seine Ambitionen führen ihn vielleicht in eine andere Richtung, wer weiss?" Beeindruckt zeigt sich Brawn von der Tatsache, dass Vettel trotz aller Erfolge und Begeisterungsstürme auf dem Boden geblieben ist. "Neue Jungs, wie Sebastian, sind jung und frisch. Diese Fahrer haben immer einen anderen Charakter. Er geht mit einer natürlichen, relaxten Einstellung an die Sache heran, zumindest aus unserem Blickwinkel."

"Man kann leicht mit ihm umgehen, aber im Auto ist er verständlicherweise ganz anders. Von der Persönlichkeit her ist er aber sehr relaxt. Michael war dagegen immer sehr ernst und konzentriert. Ich sage nicht, dass Sebastian das nicht ist, aber Michael musste den Job auf einem höheren Intensitätslevel im und ausserhalb des Autos angehen, um Erfolg zu haben. Abseits der Rennstrecken hatte man mit Michael viel Spass. Seb hat dagegen einen viel offeneren Charakter", findet Brawn. "Er ist ein ganz grosses Talent und scheint noch immer stärker zu werden. In diesem Jahr haben alle gesagt, dass man nur warten muss, bis er unter Druck gerät. Dann würde er einbrechen. Er ist aber sehr gut mit Druck umgegangen. Ich schätze, dass er nach dem zweiten WM-Titel ein noch grösseres Selbstvertrauen erreicht."

12.10.2011