Pirelli-Küsschen für Sauber

Sergio Perez:

Pirelli-Küsschen schmecken besser, Pirelli-Küsschen schmecken gut

Viel hatte sich Pirelli wegen der schnell abbauenden Reifen während der Wintertests anhören müssen, doch beim Saisonauftakt in Melbourne erfüllten die italienischen Pneus alle Erwartungen. Erstens gab es mehr Boxenstopps und mehr Abwechslung, was von den Formel-1-Verantwortlichen so gewünscht wurde, und zweitens waren die Pirellis haltbarer als befürchtet.

So gelang es Sergio Perez sogar, mit einem einzigen Stopp durchzufahren. "Nach den Wintertests haben einige vier oder fünf Stopps vorhergesagt. Ich fand das immer übertrieben und irreführend", erklärt Pirelli-Sportchef Paul Hembery. "Ich habe aber erwartet, dass drei Stopps die häufigste Strategie sein würde - und dass vielleicht ein paar nur zwei machen. Eine Einstoppstrategie hätten wir aber nie und nimmer erwartet."

"Das ist wirklich aussergewöhnlich, zeigt aber, dass wir ein neues Element in den Sport gebracht haben", freut sich der Brite über das gelungene Comeback. "Wir haben die ganze Zeit gesagt: 'Wann kommt er rein? Er muss doch reinkommen! Was macht der nur?' Ich habe schon geglaubt, dass der Datenmonitor daneben liegt und sein Stopp übersehen wurde. Das haben wir dann überprüft. Umso grösser ist die Überraschung", strahl Hembery.

Jubel über Saubers "Reifenflüsterer"

Der für das Sauber-Team zuständige Pirelli-Ingenieur konnte gar nicht glauben, was er sah. "Der hätte mir am liebsten einen Kuss gegeben", lächelt Peter Sauber. Später schaute dann Hembery in der Sauber-Hospitality vorbei, um den Schweizern persönlich zu gratulieren. Dabei ereignete sich folgender Dialog:

Hembery: "Das war aussergewöhnlich!"

Sauber: "Gebrauchte weiche Reifen!"

Hembery: "Das war erstaunlich, wir haben uns selbst gewundert. Aussergewöhnlich."

Sauber: "Vielleicht liegt es am Fahrer."

Hembery: "Der Fahrer hat aussergewöhnliche Arbeit geleistet, eindeutig, aber das Auto war auch sehr gut abgestimmt."

Sauber: "Sehr schonend zu den Reifen."

Hembery: "Sehr schonend, fantastisch. Wenn ihr das auch in Malaysia hinkriegt, würde es mich wundern, aber..."

Sauber: "Malaysia ist eine andere Geschichte."

Hembery: "Gratulation jedenfalls, wirklich fantastisch!"

Dass Perez (und auch Teamkollege Kamui Kobayashi) im Nachhinein wegen illegaler Heckflügel disqualifiziert wurden, änderte nichts am Erfolg von Pirelli. Hembery: "Wir haben für Abwechslung gesorgt, worum wir gebeten wurden, und anhand des Medieninteresses an Perez' Rennen erkenne ich, dass wir den richtigen... Ich hoffe, dass wir weiterhin für Abwechslung sorgen können, ohne dass die Formel 1 zu einer Lotterie wird, wie viele befürchtet haben."

Doch warum verhielten sich die Pirelli-Reifen in Melbourne plötzlich ganz anders als bei den Wintertests? Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens waren die Streckentemperaturen beim Saisonauftakt weniger hoch als erwartet (maximal 34 Grad). Zweitens sammelte sich zumindest am Sonntag reichlich Gummiabrieb auf der Strecke an. Das war am Samstag noch nicht der Fall, weil es in der Nacht von Freitag auf Samstag geregnet hatte.

Einstoppstrategie eine einmalige Sache?

Zu Perez' Einstoppstrategie haben laut Hembery auch Fahrstil, die Verkehrssituation im Rennen und das Auto beigetragen. Aber: "Es würde mich überraschen, sollten wir das öfter erleben", gesteht der Pirelli-Sportchef. "Das war eine aussergewöhnliche Fahrt, was sicher an seinem Fahrstil liegt. Dafür muss man ihm ein Kompliment machen. Wir haben die Zeiten genau beobachtet, aber die waren sehr konstant und konkurrenzfähig."

Auch der Unterschied zwischen den beiden angebotenen Slick-Spezifikationen war im Rennen weniger gross als angenommen: "In den Freien Trainings war das auch noch eine Sekunde. Ich glaube, das hatte mit der Veränderung der Strecke zu tun", vermutet Hembery. "Am Ende war sie voll mit Gummi, was den Unterschied zwischen den beiden Mischungen kaschiert hat. Das wird aber nicht auf jeder Strecke so sein."

Die hohe Haltbarkeit der Reifen kam jedenfalls auch für Pirelli überraschend - und für die Teams sowieso: "Ich habe mit Christian Horner geredet. Sie wollten eigentlich drei Stopps machen, aber die weichen Reifen hielten so lang, dass sie auf zwei Stopps umgestellt haben", berichtet Hembery. Red Bull splittete die Strategien bekanntlich auf: Sieger Sebastian Vettel kam mit drei Reifensätzen durch, Mark Webber musste vier verwenden.

Die Freude über das gelungene Comeback - Pirelli war ja schon in den 1950er-, 1980er- und 1990er-Jahren in der Königsklasse aktiv - ist gross: "Da kann man sich schon mal ein Bierchen gönnen", grinst Hembery und spricht seiner Mannschaft ein Kompliment aus: "Nach 19 Jahren Pause hatten wir nur acht Monate, um uns vorzubereiten. Ich finde, das ist eine aussergewöhnliche Leistung. Ich bin sehr stolz auf das Team!"

4.4.2011