«Schumacher ist immer noch der beste Rennfahrer»

Willi Weber

Willi Weber war als "Mister 20 Prozent" als Fahrermanager von "Schumi" aktiv

Willi Weber hatte schon früh das aussergewöhnliche Talent von Michael Schumacher entdeckt. Vor 20 Jahren - am 25. August 1991 - schaffte Schumacher mit Webers Hilfe den Sprung in die Formel 1, als Manager erlebte er Schumachers Aufstieg zum erfolgreichsten Fahrer in der Geschichte der Königsklasse. Im Interview erinnert sich der heute 69 Jahre alte Weber noch einmal an die turbulenten Tage von Spa 1991 und die kleine "Notlüge", die Schumacher die Tür zur Formel 1 öffnete.

Frage: Gehen wir mal ganz zurück zum Anfang: Wann haben sie Michael Schumacher eigentlich entdeckt?

Willi Weber: Das war 1988 in Salzburg. Ich war da mit meinem Formel-3-Team und Michael fuhr in der Formel Ford. Die Wetterbedingungen waren sehr schlecht. Er ging als Fünfter an den Start und kam als Führender aus der ersten Runde zurück. Die Führung hat mich eigentlich nicht so beeindruckt wie die Tatsache, dass er in jeder Runde aus der Zieleingangskurve an der gleichen Stelle rausgedriftet kam. Eine Fahrzeug-Beherrschung, die ich selten gesehen habe. Sie hätten da ein Fünf-Mark-Stück hinlegen können und er hätte es immer im Drift mit dem rechten Hinterrad getroffen.

Sie nahmen ihn unter Vertrag, gingen mit ihm durch die Formel 3 und das Mercedes-Juniorteam bei Sauber in der Gruppe C. Was genau passierte dann im August 1991, sodass die Karriere von Michael Schumacher plötzlich Fahrt aufnahm?

Bei einem Rennen auf dem Nürburgring hatte mir ein Journalist erzählt, dass der Fahrer von Eddie Jordan im Knast ist und dass das vielleicht eine Chance für uns sein könnte. Ich sollte doch mal anrufen, was ich auch gemacht habe. Ich kannte Eddie gut von früheren Geschäften mit Formel-3-Autos, und wir waren ganz gut befreundet. Er hatte wenig Interesse, mit mir zu diskutieren, ich habe aber nicht locker gelassen. Er fragte: 'Wer ist Michael Schumacher?' Ich sagte: 'Er hat Macao gewonnen, erinnere dich. Er ist im Moment der Beste.' Eddie meinte: 'Das sagen alle. Kennt er denn Spa?' Ich sagte: 'Wie seine Westentasche, er wohnt um die Ecke.' Da habe ich ein bisschen in die Trickkiste gegriffen, das war schon ein bisschen geschummelt."

Die berühmte Notlüge, denn Schumacher war nie zuvor in Spa gefahren...

Genau. Nach zwei oder drei Tagen hatte ich dann wenigstens erreicht, dass Michael testen konnte. Danach wollte Eddie entscheiden, für den Test brauchte er aber erstmal 80.000 US-Dollar. Die habe ich sofort überwiesen. Dann nahmen die Dinge ihren Lauf. Die Jordan-Leute waren beim Test mehr als beeindruckt. Nach dem Test lief es weiter mit telefonischen Verhandlungen. Eddie erklärte sich dann bereit, Michael ins Auto zu setzen. Er sagte aber: 'Ich brauche 450.000 US-Dollar. Wenn Du die auftreibst, kann er fahren.'

Dieses Geld haben sie dann zusammenbekommen...

Michael war damals ja noch unter Vertrag bei Mercedes. Jochen Neerpasch (damaliger Mercedes-Rennleiter; Anm. d. Red.) hat das alles am Anfang nicht so gerne gesehen, weil er eigene Pläne hatte, von denen ich aber nichts wusste. Es gab schon Überlegungen, mit Sauber nach der Gruppe C in der Formel 1 zu fahren. Das hatte er mir natürlich nicht gesagt. Ich habe für meinen Jungen gehandelt. Ich wollte, dass Michael diese Chance bekommt und nutzt. Ich musste mich dennoch mit Jochen Neerpasch absprechen, denn ich brauchte die Freigabe. Es waren 14 Tage harte Arbeit, um das Geld zusammenzubekommen. Wir haben es aber hingekriegt. Und dann kam Spa.

Wo der Start etwas holprig war...

Wir hatten in der ganzen Aufregung vergessen, für uns Zimmer zu reservieren. Es gab in ganz Spa keine Zimmer mehr. Wir wurden dann in der Jugendherberge einquartiert, aber das war in dem Moment für uns eigentlich völlig egal. Wir hätten auch unter dem Truck oder neben dem Auto geschlafen, bei der Freude und der Aufregung. Dann kam das Qualifying, wo sich Michael als Siebter auf der Strecke etablierte und einen Riesenhype in der ganzen Formel-1-Szene auslöste. Der Renntag verlief leider nicht so, wie wir ihn erwartet hatten. Aber trotzdem hat sich von dem Moment an unser beider Leben komplett verändert. Eigentlich hätte ich nicht mehr machen müssen, als meine Visitenkarte an die Boxenmauer zu heften und heimzufahren.

Wann haben sie Eddie Jordan denn gebeichtet, dass Michael die Strecke vorher gar nicht kannte?

Erst viel später. Nach dem Ergebnis vom Samstag hatte er auch nicht danach gefragt. Ohne Streckenkenntnis auf den siebten Startplatz zu fahren, wäre für ihn zuviel gewesen. Das hätte er nicht verkraftet.

In Wahrheit hatte sich Schumacher seine Streckenkenntnis durch eine Runde mit dem Fahrrad geholt...

Das ist richtig. Wobei ich sagen muss, dass Michael ein fotografisches Gedächtnis hat. Wenn er eine Strecke ein-, zweimal fährt, dann kennt er sie. Zwei Stunden vor dem Start hatte es aber noch einmal Aufregung gegeben. Eddie kam zu mir, bot mir einen Fünfjahres-Vertrag und sagte: 'Lies ihn durch und unterschreibe ihn vor dem Rennen. Sonst lasse ich Michael nicht fahren.' Ich meinte: 'Bist du wahnsinnig? Mein Englisch ist zwar gut, aber ich bin kein Anwalt. Ich kann das niemals unterschreiben und werde das auch nicht unterschreiben.' Ich habe dann mit Jochen Neerpasch gesprochen, und er riet mir, zu versuchen, eine Art Absichtserklärung auszuhandeln, nach dem Rennen einen Vertrag zu unterschreiben. Genau so habe ich das dann mit dem Anwalt von Eddie Jordan gemacht. Nach dem Rennen, das ja nicht so lange ging, fuhren wir alle nach Hause, und Eddie war der Meinung, er sei auf der sicheren Seite. Wir haben ihm dann durch unsere Anwälte mitteilen lassen, dass wir zwar einen Vertrag unterschreiben würden, aber nicht den, den er uns vorgelegt hatte. Damit waren wir eigentlich frei, zum Leidwesen von Eddie Jordan und zum Glück für uns.

Und zur Freude von Flavio Briatore, in dessen Benetton Michael dann schon im zweiten Rennen sass...

Genau. Eddie hatte uns erstmal verklagt, musste dann aber einsehen, dass er schlechte Karten hatte. Wir haben uns dann aber nach zwei Jahren mit Eddie geeinigt und ihm einen Betrag gezahlt. Dann war die Sache in Ordnung.

Hätten sie es damals schon für möglich gehalten, dass Michael Schumacher Rennen gewinnt und sogar Weltmeister werden kann?

Niemals. Ich war vermessen genug, zu glauben, dass er in die Formel 1 gehört und mindestens unter die ersten Zehn fährt, sich dann vielleicht nach vorne robbt und irgendwann mal auf dem Treppchen steht. Aber nicht in dieser Geschwindigkeit und nicht mit diesem Ausgang.

Gibt es eine Erinnerung an einen schönsten Moment in ihrer Zusammenarbeit mit Michael?

Da gibt es so viele schöne Momente. Man muss sich vorstellen, wir steigen beide in eine Rakete ein, und die fliegt dann los. Man hatte viel zu wenig Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Wir waren beide damit beschäftigt, den Erfolg zu konservieren. Dem sind wir mehr nachgejagt als uns zu beweihräuchern.

Michael hatte seine Karriere dann auf einem Level beendet, das nie zuvor jemand in der Formel 1 erreicht hatte. Dann gab es doch noch einmal eine Rückkehr zu Mercedes - nach 19 Jahren. Vielleicht als spätes Dankeschön?


Rückblickend wäre es vielleicht besser gewesen, er hätte es nicht gemacht. Ich glaube nicht, dass er es aus Dankbarkeit gemacht hat.

Sondern eher, weil in ihm das Feuer noch brennt?

Als das mit Ferrari losging und nach Felipe Massas Problem Luca di Montezemolo auf ihn zukam und ihn gebeten hat, auszuhelfen, war das völlig in Ordnung. Was Ferrari für uns getan hat, war sensationell, und da war Michael auch verpflichtet, das zu tun. Das habe ich auch völlig eingesehen. Als dann die Konstellation kam, Mercedes bringt ein eigenes Team, Ross Brawn als Chef, Michael Schumacher als Fahrer, hat es gepasst wie die Faust aufs Auge. Ich glaube, da wäre jeder schwach geworden.

Würden sie sich freuen, wenn Michael den Schritt zurück auf das Podium oder einen Sieg noch schafft?

Ich habe an seiner Seite die schönste Zeit meines Lebens verbracht. Ich leide bei dem, was da gerade passiert. Das Schönste für mich wäre natürlich, wenn Michael wieder aufs Podium fährt und wir den alten Michael Schumacher sehen, den siebenmaligen Weltmeister. Er hat ja das Autofahren nicht verlernt, das geht ja nicht. Er ist für mich immer noch der beste Rennfahrer der Welt.

23.8.2011