Sturz-Empfehlung: "Alle sitzen im selben Boot"
Timo Glock empfindet die neue Regelung
zum Sturz nicht als Formel-1-Handicap
Die Sicherheit hat Vorrang. Darin sind sich alle Beteiligten einig, die in den vergangenen Tagen zum Radsturz an der Vorderachse befragt wurden. In Monza bekam diese Thematik nämlich eine neue Dimension, denn beim italienischen Formel-1-Event ist die Empfehlung von Pirelli verbindlich: Kein Team darf sich der Vorgabe des Reifenlieferanten widersetzen, sonst droht die Disqualifikation.
Wie aber konnte es so weit kommen? Laut Red-Bull-Teamchef Christian Horner ist dies "ganz einfach" erklärt: "Nach Spa entschied sich Pirelli dazu, einen etwas konservativeren Sturz vorzugeben. Unser Vertrag mit Pirelli sieht eigentlich nur eine Empfehlung vor, doch die FIA macht dies zu einer verbindlichen Limitierung. Alle Teams sitzen diesbezüglich im selben Boot", hält der Brite fest. "Im Hinblick auf die Blasenbildung in Spa ist das sicherlich ein kluger Schritt", meint Horner. Beim Belgien-Event der Formel 1 waren die Teams beim Vorderrad-Sturz zum Teil weit über das Limit hinausgeschossen - ohne die Konsequenzen zu ahnen, wie Horner hinzufügt. "In Spa wussten wir nicht Bescheid um die Schwere der Problematik." Man habe vorab nicht ausreichend testen können.
Die Teams begrüssen die klare Linie
"An dieser Stelle dürfen wir aber nicht vergessen, dass auch andere Teams über dem Limit waren. Es ist also keine Red-Bull-Angelegenheit", betont Horner. Wie auch immer: Die FIA hielt es in Monza für notwendig, Pirelli unter die Arme zu greifen und eine Regelung vorzugeben. Diese sieht vor, dass die Teams den Sturzwert von 3,25 Grad an der Vorderachse in Italien nicht überschreiten dürfen. Für die Teams bedeutete dies eine Setupanpassung. "Wenn du etwas mehr Sturz fährst, greifen die Reifen ein bisschen besser. Aus diesem Grund dauert es nun etwas länger, bis der Fahrer ein Gefühl für die Vorderreifen entwickeln kann", sagt Horner.
Mercedes-Teamchef Ross Brawn begrüsst diese Entwicklung: "In Spa gab es da eine kleine Kontroverse, doch jetzt sind alle auf einer Linie. Es ist nicht ganz neu, dass der Reifenlieferant eine Empfehlung abgibt. Egal, ob Sturz oder Druck oder dergleichen. Das war auch bei Bridgestone nicht anders. In diesem Fall wurden wir darum gebeten, 3,25 Grad nicht zu überschreiten. Am Ende der Geraden werden die Reifen sehr grossen Kräften ausgesetzt. Deswegen sollen wir den Sturz jetzt bei 3,25 Grad oder geringer halten."
Die Sicherheit ist in Monza kein Problem
"Jetzt wurde auch eine Überprüfung eingeführt, welche die Einhaltung dieser Vorgabe checkt. Ich denke, alle befinden sich nun innerhalb dieses Rahmens", erläutert der Brite.
McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh ergänzt: "Unterm Strich geht es darum, eine verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen. Das haben wir meiner Meinung nach in Spa getan." Aus seiner Sicht gibt es kein Problem. "Wenn du deine Hausaufgaben gemacht und deine Daten sehr gründlich analysiert hast, wirst du in Abstimmung mit einem guten Reifenpartner, wie es Pirelli ist, den Rat befolgen. Das Gute ist, dass es dieses Mal - anders als noch in Spa - kein Sicherheits-Problem darstellt, sondern einzig und allein um die Performance geht", erklärt Whitmarsh. "Ich bin mir sicher: Unsere Jungs haben das im Griff."
Laut Timo Glock (Marussia-Virgin) halten sich die Auswirkungen der neuen Regelung ohnehin in Grenzen: "Es ist schon ein Eingriff, aber wenn man eventuell Sicherheits-Bedenken hat, dann muss man es halt machen. Unterm Strich ist es für alle gleich. Natürlich ist mehr Sturz immer besser, vielleicht nicht hier in Monza. Ich denke, dass hier weniger Sturz auf der Bremse sogar besser ist."
Blistering wird wohl trotzdem auftreten...
"Letztendlich hat es uns nicht geschadet. Das Auto war gut zu fahren", bemerkt der Deutsche. Trotzdem könnte es im Königlichen Park von Monza erneut zu Blasenbildung an den Pirelli-Pneus kommen.
Davon ist Sam Michael, Technischer Direktor bei Williams, sogar fest überzeugt. "Dieser Effekt stellt sich vermutlich nach etwa 20 Runden ein", meint der australische Formel-1-Routinier. "Wahrscheinlich reden wir dabei aber über das Ende eines Stints." Insofern sei der Effekt nicht so dramatisch wie in Belgien. "Es sollte okay sein. In Spa hatte es weniger mit dem Sturz als vielmehr mit der vertikalen Kraft zu tun, der die Reifen in der Eau Rouge ausgesetzt waren. Dort müssen die Pneus die grössten Kräfte der gesamten Saison überstehen. Hier in Monza ist es traditionelles Blistering." Und was passiert im schlimmsten Fall? "Irgendwann verlierst du massiv an Grip, weil die obere Schicht des Reifens abgetragen ist", meint Michael. "Bevor es aber ein Sicherheits-Problem gibt, würde jeder Fahrer an die Box fahren. Du könntest es hinauszögern und irgendwann einmal in Schwierigkeiten geraten, doch lange vorher gehst du in die Box", hält der Technikchef fest.
11.9.2011