Wird in der Formel 1 zu viel bestraft?

Lewis Hamilton und Felipe Massa sorgen für eine

Strafen-Diskussion

Beim Grand Prix von Indien spaltete die Schuldfrage nach der bereits vierten Kollision zwischen Lewis Hamilton und Felipe Massa das Fahrerlager. Ausnahmsweise hatten die Rennkommissare rund um Johnny Herbert diesmal den Brasilianer zum Schuldigen erklärt. Doch David Coulthard zeigte sich verwirrt. Er wunderte sich gegenüber 'The National', "wie Felipe der Schuldige sein soll, schliesslich wird uns Fahrern immer gepredigt, dass der Hinterherfahrende verantwortlich ist."

Er forderte daher mehr Konstanz und weniger Strafen - eine Meinung, die einige Experten teilten. Auch Mark Webber - ehemaliger Coulthard-Teamkollege bei Red Bull - stimmte in seiner Kolumne bei der 'BBC' in diesen Tenor ein: "Es ähnelt immer mehr dem Strassenverkehr mit all den Strafen. Es scheint die Einstellung zu sein, dass jemand schuld sein muss, wenn ein Zwischenfall passiert."

Hamilton fordert weniger, aber konstanter Strafen

Doch was sagt Lewis Hamilton selbst, der den Crash zumindest mit verursacht hatte und in dieser Saison regelmässig bestraft wurde? Auch er fordert konstantere Entscheidungen, damit die Piloten Situationen auf der Rennstrecke besser einschätzen und Strafen aus dem Weg gehen können. "Ich glaube nicht, dass es irgendjemanden gibt, der dem anderen absichtlich ins Auto fährt, sondern es passiert einfach", sagt der McLaren-Pilot. Seiner Meinung nach ist der Schaden bei einem Unfall oft Strafe genug - die Rennkommissare müssten in so einem Fall gar nicht mehr eingreifen: "Wenn du keinen Frontflügel mehr hast, ist dein Rennen eh schon zerstört - dafür braucht es keine Durchfahrstrafe mehr. Danach ist das Rennen komplett ruiniert und es gibt gar keine Chance mehr, noch einmal zurückzukämpfen."

Button widerspricht Hamilton

Teamkollege Jenson Button schliesst sich nicht der Meinung von Webber und Coulthard an und findet, dass die Rennkommissare berechenbar agieren. "Man muss sagen, dass wir stetig Druck auf die FIA und die Stewards dahingehend ausüben, dass sie konstante Entscheidungen treffen", ergreift er für die Rennkommissare Partei. "Diese Konstanz ist meiner Ansicht nach gegeben und das ist die Hauptsache. Ob ein Manöver zu hart oder nicht hart genug war, sollten nicht die Fahrer, sondern die Stewards entscheiden. Wir sollten uns da zurückhalten." In der Vergangenheit waren die Stewards oft dafür kritisiert worden, Strafen auszusprechen. Das Hauptargument war, dass es sich die Piloten dadurch zweimal überlegen würden, einen Konkurrenten auf der Strecke zu attackieren, und die Anzahl der Überhol-Manöver noch weiter sinkt. Pastor Maldonado entkräftet dies. "Es gibt immer die Möglichkeit, jemanden ohne Zwischenfall zu überholen, wenn man den anderen Fahrer kennt", meint der Williams-Fahrer.

Ist das Überholen einfacher geworden?

Auch die Reglementänderungen nennt er als Grund: "Jetzt ist das noch mehr der Fall, da es ja DRS gibt. Es ist viel einfacher zu überholen. Man muss nur auf eine gute Gelegenheit warten, um es einzusetzen." Auch Bruno Senna findet: "Man kann einfacher überholen als in der Vergangenheit. Wenn man einen Fehler macht und in ein anderes Auto fährt, schwirren die Stewards um einen herum und entscheiden, ob es eine Strafe gibt oder nicht. Wenn die Regeln klar sind, ist es einfacher, zu wissen, was man tun muss. Manchmal ist es sehr offensichtlich, dass es eine gescheiterte Bemühung war und man eine Strafe verdient." Hamilton, der als zweikampfstark gilt, aber diesbezüglich zuletzt viele negative Erfahrungen gemacht hat, ist der Ansicht, dass das Überholen trotz der Überhol-Hilfen immer noch eine enorme Herausforderung darstellt: "Selbst mit diesen Autos ist das Überholen immer noch enorm schwierig. Wenn du also an einem Gegner vorbei willst, musst du unweigerlich ein Risiko eingehen, aber das ist ja auch das Aufregende. Da kann es schon mal zu einer Berührung kommen. Sobald die passiert ist, ärgert man sich drüber, und dann kriegst du auch noch eine Strafe."

Weniger Zweikämpfe durch härtere Strafen?

Maldonado geht in Opposition zu Hamilton: Er wünscht sich, dass die Stewards in Zukunft auf keinen Fall weniger hart durchgreifen: "Die Fahrer machen Fehler und daher gibt es die Rennkommissare. Wenn sie keine Strafen aussprechen, dann macht ja jeder, was er will. Es gibt ein Gesetz und daran muss man sich halten." Durch die vielen Strafen wird laut dem Williams-Piloten auch rücksichtsvoller gefahren. Dennoch werden die Piloten deshalb nie auf das Überholen verzichten: "Sie werden es immer probieren - es macht keinen Unterschied." Senna meint, dass der Gedanke an eine Strafe in der Hitze des Gefechts erst gar nicht aufkommt: "Ich denke nicht, dass wir an die Strafen denken, sondern daran, keinen Fehler zu machen. Es war früher etwas rücksichtsloser. Da ist man einem anderen Fahrer ins Auto gefahren und kam ohne Strafe davon." Dieser Meinung ist auch Sergio Perez: Der Sauber-Pilot lässt sich in einem Zweikampf nicht durch den Gedanken an eine mögliche Strafe ablenken. "Als Fahrer versuchst du einfach immer dein Bestes zu geben und so viele Autos zu überholen, wie es geht. Über eine mögliche Strafe mache ich mir im Zuge eines Überholversuchs überhaupt keine Gedanken." Button hat eine Erklärung, warum Piloten diesen Gedanken ausklammern: "Wir sprechen hier von einem Instinkt, den du nicht veränderst, weil eine mögliche Strafe drohen könnte."

Button: Mehr Überholmanöver durch klare Regeln

Er glaubt insgesamt sogar, dass die regelmäßigen Strafen in der Formel 1 langfristig positive Auswirkungen auf die Frequenz der Überhol-Manöver haben. Der McLaren-Star argumentiert mit einem Vergleich seiner Kart- und seiner Formel-Ford-Ära. "Als ich in Italien Kartrennen bestritten habe, war es uns nicht erlaubt, einen Gegner zu blocken", erzählt Button. "Hast du es doch getan, wurdest du eine Position nach hinten versetzt. In dieser Hinsicht gab es damals ein größeres Maß an Respekt, denn du wusstest genau: Blockst du, bekommst du eine Strafe oder ein anderer Fahrer schickt dich von der Strecke. Bei solchen Zwischenfällen konntest du dich in der Regel aber nicht verletzen, da du nicht mit 320 km/h unterwegs warst." Ganz anders war die Situation, als Button in der aufgrund der höheren Geschwindigkeit und der freistehenden Räder wesentlich gefährlicheren Formel Ford antrat. "Damals war uns Fahrern alles erlaubt", blickt er zurück. "Ich erinnere mich an ein Rennen, in dem ich hinter einem anderen Fahrer lag, der auf der Geraden sechs oder siebenmal seine Linie gewechselt hat, um mich am Überholen zu hindern. Das war sehr frustrierend. So gesehen bin ich froh, dass wir in der Formel 1 Regeln haben, die so etwas unterbinden. Das kommt dem Überholen als Ganzes zu Gute. Du brauchst in jedem Sport ein Regelwerk. In unserem Sport sind die Regularien meiner Ansicht nach korrekt."

10.11.2011